Washington. Das amerikanische „Time“-Magazin kürt Angela Merkel zur „Person des Jahres 2015“

Als „Time“-Gründer Henry Luce die Kriterien für den seit 1927 vergebenen Titel der „Person des Jahres“ vorgab, war das Spektrum bewusst weit gezogen: „Wer die Nachrichten oder unser Leben in diesem Jahr am meisten beeinflusst hat, sei es im Guten oder im Schlechten“, der sollte die Auszeichnung des US-Nachrichtenmagazins erhalten. So erklärt sich, warum direkt hinter Kanzlerin Angela Merkel, die gestern als erste Frau seit fast 30 Jahren und als vierte Frau überhaupt auf dem Titel erschien, der Anführer der Kopfabschneider-Terrorbande „Islamischer Staat“, Abu Bakr al-Baghdadi, als Zweiter genannt wurde. Auf Rang drei landete der irrlichternde republikanische US-Präsidentschaftsanwärter Donald Trump, der auch gleich mit einer Replik nicht an sich hielt: „Sie haben die Person gewählt, die Deutschland ruiniert“, twitterte Trump über Merkel.

Für die auf dem Cover in Öl gemalte Merkel, die dadurch mit den früheren Kanzlern Konrad Adenauer (1953) und Willy Brandt (1970) gleichzieht, gab laut Chefredakteurin Nancy Gibbs den Ausschlag, dass sie fest gegen Tyrannei steht und eine „unerschütterliche moralische Führung“ zeigt; gerade dann, wenn die Widerstände groß seien. „Angela Merkel, Chancellor of the Free World“, heißt es auf dem Titelblatt – die Kanzlerin der freien Welt.

„Time“ würdigte Merkels Kurs in der Griechenlandkrise um den Euro, im Fall Ukraine/Putin, in der Flüchtlingskrise und im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Wo immer die Übernahme von Verantwortung gefragt gewesen sei, habe sie Größe gezeigt und ihrem Land „mehr abverlangt, als es die meisten Politiker wagen würden“. Imponiert hat den „Time“-Leuten Merkels Haltung in der Flüchtlingskrise. Ihr Beharren auf den Slogan „Wir schaffen das“ sei umso beeindruckender, weil ihre eigenen Parteifreunde in der CDU und viele ihrer Wähler den Glauben an die Beherrschbarkeit des Problems verloren hätten. „In einer Zeit, in der ein Großteil der Welt mit wütenden Debatten über die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit beschäftigt ist, verlangt die Kanzlerin eine Menge von den Deutschen und, durch ihr Beispiel, dem Rest von uns: Fremde Menschen willkommen zu heißen. Ohne Angst zu sein. Daran zu glauben, dass große Zivilisationen Brücken – keine Mauern – bauen, und dass Kriege auf und neben dem Schlachtfeld gewonnen werden“. Gibbs lobte Merkel als Macherin mit Kompass: Sie sei durch ihre Arbeit „de facto die Anführerin eines Kontinents“ geworden.