Berlin.

Familienpolitik ist in diesen Tagen vor allem Flüchtlingspolitik. Bei einem Besuch in unserer Redaktion kritisiert Ministerin Manuela Schwesig die Forderung der Union, den Nachzug von Frauen und Kindern einzuschränken, als inhuman. Vor dem SPD-Parteitag, der am kommenden Donnerstag in Berlin beginnt, unterstützt die stellvertretende Parteivorsitzende eine umstrittene Forderung.

Hamburger Abendblatt: Die SPD streitet darüber, ob sie sich für eine Doppelspitze öffnen soll. Sind Sie dafür, Frau Schwesig?

Manuela Schwesig: Ich bin gegen Zwang. Aber ich finde es richtig, die Möglichkeit für Doppelspitzen in der SPD zu schaffen. Auf dem Parteitag werde ich dafür stimmen.

Wären Sie bereit, neben Sigmar Gabriel die SPD zu führen?

Schwesig: Ich kandidiere als stellvertretende Parteivorsitzende – nicht mehr und nicht weniger. Bei der Doppelspitze geht es auch nicht in erster Linie um den Bund, sondern um die Basis. Dort gibt es Männer und Frauen, die bereit sind, einen SPD-Ortsverein zu leiten, wenn sie das nicht alleine machen müssen. Nach unserer Satzung sind Doppelspitzen bisher nicht möglich. Das sollten wir ändern.

Ist Gabriel als Kanzlerkandidat gesetzt?

Schwesig: Sigmar Gabriel hat selber gesagt, dass er antreten wird, wenn die Partei ihn unterstützt.

Tut sie das denn?

Schwesig: Natürlich hat der Parteivorsitzende die Unterstützung der Partei. Aber die Frage der Kanzlerkandidatur wird nicht auf diesem Parteitag entschieden, sondern später. Die Leute erwarten jetzt, dass wir uns um die Themen kümmern, die sie umtreiben: Sicherheit, Flüchtlinge, aber auch Pflege oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wie kann ich mir die Kindererziehung mit meinem Partner leichter aufteilen? Was passiert, wenn meine Mutter pflegebedürftig ist? Was bedeutet die Digitalisierung für meinen Job? Die SPD wird auf dem Bundesparteitag zeigen, dass wir die Alltagsthemen im Blick haben.

Bleibt es das Ziel der SPD, Kanzlerin Merkel abzulösen?

Schwesig: Selbstverständlich wollen wir 2017 den Kanzler stellen.

Was würde Gabriel in der Flüchtlingspolitik anders machen als Merkel?

Schwesig: Wir hätten vieles schon deutlich früher haben können. Sigmar Gabriel hat vor einem Jahr eine Entlastung der Kommunen gefordert, das ist nur auf unseren Druck hin gekommen. Jetzt müssen wir die Geschwindigkeit der Zuwanderung verringern und sie steuerbar machen. Die SPD hat daher vorgeschlagen, zu einer Kontingentlösung zu kommen. Die Kanzlerin hat sich dieser Idee angeschlossen. Der massive Richtungsstreit in der Union schadet der Regierung.

Es ist die SPD, die das neue Asylpaket der Koalition blockiert.

Schwesig:Nein. Im Gegenteil. Wir wollen, dass das Asylpaket schnell kommt. Beim Gesundheitsschutz haben wir uns jetzt geeinigt, dass Schwangere und Kinder weiterhin die notwendige medizinische Versorgung bei uns erhalten. Wir müssen aber auch sicherstellen, dass Kinder in den Flüchtlingsunterkünften geschützt sind. Leider gab es vereinzelte Übergriffe – auch sexuelle Übergriffe – auf Kinder. Wir haben die Pflicht und die Verantwortung, Kinder zu schützen – egal, aus welchem Land sie kommen. Entscheidend ist, dass wir gemeinsam – Bund, Länder und Kommunen – dafür Sorge tragen, dass es wirksamen Kinderschutz in Einrichtungen gibt. Dafür gehört für mich auch, dass die Menschen, die mit Kindern arbeiten, ein Führungszeugnis vorlegen müssen. Ich sehe, dass einige Länder da schon mit gutem Beispiel vorangehen. Doch wir brauchen ein einheitliches Verständnis darüber, was für einen flächendeckenden Schutz erforderlich ist.

Sie lehnen es ab, den Familiennachzug einzuschränken. Was ist daran so unvernünftig?

Schwesig:Die Innenminister haben ja gerade entschieden, dass für Syrer wieder Einzelfallprüfungen gelten sollen. Das ist aber keine Entscheidung zum Familiennachzug. Den Familiennachzug einschränken zu wollen ist eine Scheindebatte. Es wird keinen millionenfachen Familiennachzug geben. Dieses Schreckensszenario ist einfach falsch. Im vergangenen Jahr sind nur 18.000 Menschen über den Familiennachzug nach Deutschland gekommen, und aus dem laufenden Jahr liegen uns rund 50.000 Anträge vor. Wenn wir jetzt den Nachzug einschränken, ist das eine Botschaft an die Flüchtlinge, Frauen und Kinder gleich mitzunehmen auf die gefährliche Flucht. Erst hieß es, dass die Grenzen offen sind und wir das schaffen. Und dann sagt die Union plötzlich, dass die Frauen und Kinder aber bitte im Krieg bleiben müssen. Das ist inhuman – und auch unklug mit Blick auf die Integration.

Wieso?

Schwesig: Kinder und Familien sind der Schlüssel zur Integration. Daran sollten wir auch denken, wenn wir Kontingente für Kriegsflüchtlinge schaffen. Wenn man so viele Menschen aufnimmt, sollten Kinder und ihre Familien die Priorität haben.

Was bedeutet das für die Situation in den Kitas?

Schwesig: Es darf keine Konkurrenz zwischen Einheimischen und Flüchtlingen um Kitaplätze geben. Wir müssen verhindern, dass die einen gegen die anderen ausgespielt werden. Wir werden zusätzlich 80.000 Kitaplätze und 20.000 Erzieherinnen und Erzieher brauchen. Und wir wollen die frei werdenden Mittel aus dem Betreuungsgeld für den Kitaausbau verwenden. Davon profitieren alle: die Flüchtlinge und diejenigen, die schon hier sind.

Sie haben einen achtjährigen Sohn. Wie vermitteln Sie ihm, was gerade los ist in der Welt?

Schwesig: Wir schauen jeden Abend zusammen Kindernachrichten im Fernsehen. Und wenn ich nicht zu Hause in Schwerin bin, übernimmt das mein Mann. Die Nachrichten bewegen meinen Sohn unheimlich. Er beschäftigt sich damit, wie Kinder in anderen Regionen der Welt leben. Und er versteht nicht, dass wir in der Politik oft lange diskutieren – und uns nicht gleich zusammensetzen, um gemeinsam eine gute Lösung zu finden. (lacht)

Sie erwarten im neuen Jahr Ihr zweites Kind. Gibt es eigentlich Mutterschutz für Ministerinnen?

Schwesig: Einen gesetzlichen Mutterschutz für Ministerinnen gibt es nicht. Aber in der Geschäftsordnung der Bundesregierung gibt es eine Regel, die auf das Gleiche hinausläuft. Ich werde von Ende Januar bis Anfang Mai in den Mutterschutz gehen.