Köln/Bochum .

Es ist ein wichtiger Tag für Henriette Reker, für Köln und im Grunde für das ganze Land: Hier steht eine, die sich von Gewalt nicht einschüchtern lässt, auch dann nicht, wenn das eigene Leben auf dem Spiel steht. Am Freitag trat die neue Kölner Oberbürgermeisterin ihren Dienst in der Domstadt an. Bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt im Museum Ludwig zeigte sich die 58-Jährige unerschrocken: „Es gibt keine Überzeugung oder Ansicht, von der ich jetzt zurücktrete nach dieser Gewalt, die ich erlebt habe.“

Vor der kalkweißen Wand des Museums steht an diesem Morgen eine wunderbar lebendige Frau, mit überraschend gesunder Farbe und energischer Tonlage: Henriette Reker hat ein buntes Tuch um den Hals gewickelt, von der Verletzung ist äußerlich nichts zu sehen. Dabei ist es gerade einen Monat her, dass Reker von einem offenbar rechts gerichteten Attentäter niedergestochen und lebensgefährlich verletzt worden war.

Für eine Begegnung mit dem Täter ist Henriette Reker noch nicht bereit

Es war ein Samstag, der 17. Oktober, der letzte Tag des Wahlkampfs. Die parteilose Kandidatin von CDU, Grünen und Liberalen verteilte Rosen an ihrem Wahlkampfstand, als der Täter zustach. Sie erinnert sich genau: „Er hat mich dabei auch freundlich angeguckt.“ Sie geht zu Boden und versucht noch, die Wunde selbst zusammenzuhalten. „Ich habe keine Todesangst gehabt. Ich hatte allerdings Sorge, dass ich gelähmt sein könnte.“ Am folgenden Sonntag fand in Köln trotz der beinahe tödlichen Messerattacke die Oberbürgermeisterwahl statt. Henriette Reker wurde gewählt – und nahm noch im Krankenhaus die Wahl an.

Die Ärzte hatten sie zunächst in ein künstliches Koma versetzt. „Ich habe die Wahl ja nicht erlebt. Sondern mein Mann hat mir dann am Donnerstag nach der Wahl mitgeteilt, dass ich die Wahl gewonnen hätte. Ein bisschen surreal ist das ja.“ Die Entscheidung, die Wahl anzunehmen, sei ihr aber leicht gefallen, sagt Reker heute. „Ich habe viel, viel Glück gehabt.“

Rekers Attentäter hatte vermutlich fremdenfeindliche Motive, die Ermittler werfen dem Messerstecher vor, sich die 58-Jährige gezielt ausgesucht zu haben, um ein Klima der Angst bei allen zu erzeugen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren. Als Sozialdezernentin war Reker vor dem Wechsel auf den OB-Posten für die Flüchtlinge in Köln zuständig gewesen. Ob sie nun Angst habe und zurückschrecke, wenn jemand auf sie zugehe? Nein, sagt sie: „Ich schrecke gar nicht zurück.“ Auch politisch will sie nicht zurückweichen: „Ich bin stolz und freue mich jeden Tag über die Willkommenskultur in Köln.“ Für eine Begegnung mit dem Täter aber sei sie noch nicht bereit.

Auch wenn sie sich nicht einschüchtern lassen will – das Attentat wird noch lange präsent bleiben: Personenschützer der Polizei sichern ihren Dienstantritt am Morgen in Köln, am Nachmittag schützt ein massives Polizeiaufgebot ihren Besuch bei der Knappschaftszentrale in Bochum.

Reker will sich weiter für Willkommenskultur einsetzen

Es ist ihre erste Dienstreise als neue Oberbürgermeisterin – und es ist gleichzeitig ein Freundschaftsdienst: Ein alter Freund und Weggefährte wird in den Ruhestand verabschiedet. „Ich wusste lange nicht“, sagt Reker, „ob ich bis dahin so stabil bin.“ Aber der Termin sei ihr wichtig gewesen. Mit ihrem Gesundheitszustand fünf Wochen nach dem Attentat sei sie zwar zufrieden, sagt sie. Doch bekennt sie auch offen, dass der Heilungsprozess noch lange nicht abgeschlossen ist: „Eigentlich hätte ich noch vier weitere Wochen in der Reha bleiben müssen.“ Aber: „Diese Hängepartie wollte ich nicht.“ In den nächsten Wochen werde sie ihr Amt „nach Kräften ausüben – wenn auch noch mit leicht angezogener Handbremse“.

Nur wenige Stunden liegen zwischen den beiden Terminen in Köln und Bochum – und doch sieht man Reker jetzt die Erschöpfung an: Zwar genießt sie das Treffen im Ruhrgebiet – immerhin war sie vor ihrer Kölner Zeit in der Gelsenkirchener Stadtverwaltung. Doch hinter ihrem Lächeln sieht man, wie zerbrechlich sie noch ist und wie angegriffen. Wie hat sie es am Morgen gesagt? „Ich muss eben noch schlucken üben, aber das schaffe ich auch.“ Und: „Ich schlucke aber nicht alles, meine Damen und Herren.“