Berlin .

Am Mittag nach der Absage des Fußball-Länderspiels gibt sich die Kanzlerin entspannt: „Die Sicherheitsbehörden haben eine verantwortliche Entscheidung getroffen“, sagt Angela Merkel. Dabei hatte der Alarm auch sie erschreckt – die Regierungschefin erfuhr erst kurz vor dem Spiel auf dem Flug von Berlin nach Hannover, wie hoch die Terrorgefahr ist.

Dienstag 00.00: Bei den Sicherheitsbehörden trifft ein Hinweis des französischen Geheimdienstes ein. Eine Gruppe um einen Nordafrikaner plane ein Sprengstoffattentat. Die Experten nehmen die Warnung ernst, von einer konkreten Bedrohung ist die Rede. Landespolizeien, BKA und Verfassungsschutz sind ohnehin in Alarm: Mindestens ein Attentäter von Paris ist auf der Flucht, womöglich in Deutschland.

10.00: Die Behörden zögern, Terroralarm auszulösen. Das Länderspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden nicht abzusagen, sollte zeigen, dass man sich nicht von den Terrorattacken einschüchtern lässt, schildert Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen die Überlegungen. Inzwischen gibt es weitere Hinweise: Angeblich plant ein irakischer Schläfer einen Anschlag auf das Spiel.

17.30: Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) geht er vor die Presse: Bei Aachen seien sieben Personen festgenommen worden. Doch anders als erwartet, wurde Salah Abdeslam, der Bruder einer der Attentäter von Paris, ist nicht festgenommen, die Verdächtigen werden bald auf freien Fuß gesetzt. Wieder ein Fehlalarm.

De Maizière sagt, es gebe keinen Grund, „das öffentliche Verhalten zu ändern“. Die Gefährdungslage sei sehr hoch, Panik aber sei nicht angebracht. Seine Strategie: Öffentlich will er zur Beruhigung beitragen, die eigentliche Terrorabwehr findet im Verborgenen statt. In Hannover machen sich rund um das Stadion die Antiterroreinheit GSG 9 und Spezialeinsatzkräfte mehrerer Bundesländer bereit.

18.00: De Maizière bricht nach Hannover auf. Er fliegt in einer Maschine mit der Kanzlerin, sie wollen sich zusammen das Spiel ansehen. Doch kurz vor dem Abflug erhält der Innenminister Hinweise von den Sicherheitsbehörden. Die Beamten sind sehr besorgt: Es gibt eine sehr konkrete Bedrohung, heißt es. Die Behörden haben ernste Hinweise, dass jemand im Stadion einen Sprengsatz zünden will, sie empfehlen doch, das Stadion zu räumen.

„Bild.de“ verbreitet später Details – und beruft sich auf ein Geheimpapier des Verfassungsschutzes für de Maizière. Darin heiße es: „Eine Gruppe von mehreren Angreifern plant das Fußballspiel zwischen Deutschland und Holland anzugreifen. Der Angriff wird mit mehreren Sprengsätzen innerhalb des Stadions erfolgen. Zudem soll eine Bombe in der Stadt Hannover detonieren.“ Und: „Die Sprengsätze werden in einem Rettungswagen ins Stadion geschmuggelt. Der Anführer der Gruppe wird im Stadion anwesend sein. Seine Aufgabe ist es, den Anschlag zu filmen. Nach Mitternacht ist ein weiterer Anschlag am Bahnhof Hannover geplant.“

19.00: De Maizière ist sich mit der Kanzlerin einig, das Fußballspiel abzusagen: Die Entscheidung sei „unmittelbar vor und während des Fluges und gleich nach Landung“ getroffen worden, sagt er später.

19.20: Fast anderthalb Stunden vor dem Anpfiff sind erst wenige Zuschauer im Stadion. Sie werden über Lautsprecher aufgefordert, den Stadionbereich „zügig und ohne Panik“ zu verlassen. Schwer bewaffnete Einsatzkräfte rennen durch die Anlage, die weiträumig abgesperrt wird. Die deutsche Nationalmannschaft erreicht die Nachricht fünf Kilometer vor dem Stadion; ihr Bus wird von der Polizei umgeleitet.

21.32: De Maizière gibt mit Landesminister Pistorius und DFB-Interimspräsident Reinhard Rauball eine Pressekonferenz. Der Schutz der Menschen hat im Zweifel Vorrang, begründet de Maizière die Absage. Doch zur konkreten Gefährdung sagt er wieder nichts: „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.“

Mittwoch, 02.00: Bis in den Morgen durchsuchen Polizisten das Stadion. Es wird kein Sprengsatz gefunden und niemand festgenommen. Ein verdächtiger Gegenstand, der am Abend in einem IC im Hauptbahnhof entdeckt wird, stellt sich als Attrappe heraus. Die Polizei sucht jetzt den Mann, der das Paket offenbar absichtlich hinterlassen hat. Landesminister Pistorius sagt: „Wir wissen nicht, was passiert wäre, wenn wir nicht abgesagt hätten.“

11.30: Das Sicherheitskabinett der Bundesregierung tagt. De Maizière erklärt, die Bedrohungslage sei „ernst, wirklich ernst.“ BKA-Chef Holger Münch erklärte zwar, es gebe keine konkreten Hinweise auf einen weiteren Anschlag. Dennoch: Es bestehe eine ernstzunehmende Bedrohungslage. Verfassungsschützer Maaßen: „Wenn der IS uns treffen und Terroranschläge in Deutschland durchführen kann, wird er es tun. Das ist unsere
große Sorge.“