Berlin .

An der deutsch-französischen Grenze ist die Lage angespannt: An vielen Grenzübergängen kontrollieren seit dem Wochenende deutsche Polizisten mit Maschinenpistolen alle Fahrzeuge und den Zugverkehr aus Frankreich, Hubschrauberstaffeln sind in Alarmbereitschaft.

Die verstärkten Kontrollen, die einhergehen mit ähnlichen Polizeiaktionen auf der französischen Seite der Grenze, sind Teil eines Maßnahmenpakets nach der Pariser Anschlagsserie, das das Sicherheitskabinett der Bundesregierung unter Leitung von Kanzlerin Angela Merkel am Sonnabend beschlossen hat. Dazu gehören demonstrativ bewaffnete Polizisten auf Flughäfen und ausgewählten Bahnhöfen – aber auch die verstärkte Beobachtung Hunderter gewaltbereiter Islamisten durch Polizei und Verfassungsschutz.

„Die Lage ist ernst“, sagte Innenminister Thomas de Maizière (CDU). „Die Gefährdungslage bleibt hoch.“ Nach Angaben aus Sicherheitskreisen gibt es weiterhin keine Hinweise auf ein abermals erhöhtes Terrorrisiko in Deutschland, also auf konkrete Anschlagspläne. Aber: „Eine Garantie, dass so etwas nicht in Deutschland geschieht, kann ich nicht geben“, sagte de Maizière. Das Szenario eines brutalen Massenangriffs mit schweren Waffen wie in Paris ist für die deutsche Polizei nicht neu: Es beschäftigt die Experten, seit Islamisten ein solches Massaker 2008 im indischen Mumbai anrichteten. „Ein geplanter Terroranschlag dieser Größenordnung und Brutalität ist mit einem normalen Polizeischutz nicht zu verhindern“, sagte Jörg Radek, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei.

Die einzige Chance sei, den Tätern bereits mit intensiver Überwachung bei der Planung auf die Spur zu kommen. Ernsthafte Warnungen erhalten die deutschen Nachrichtendienste viele – aus Telefon- und Internetüberwachung, von V-Leuten oder von ausländischen Nachrichtendiensten. Wenig erweist sich als stichhaltig. Eine Terrorwarnung, wie sie de Maizière Ende 2010 schon einmal ausgerufen hatte, hält der Minister aktuell nicht für erforderlich.

In Deutschland ist die Dschihadistenszene deutlich schwächer als in Frankreich, gefährlich ist sie dennoch: Rund tausend Personen werden dem islamistisch-terroristischen Spektrum zugeordnet. Mehr als 700 Islamisten sind nach Irak und Syrien ausgereist, rund 200 von ihnen sind inzwischen zurück – zum Teil mit Kampferfahrung und brutalisiert. Insgesamt stufen die Sicherheitsbehörden bis zu 500 Islamisten als Gefährder ein, denen schwerste Straftaten zugetraut werden.

Schon jetzt ist eine durchgehende Überwachung nur bei wenigen Verdächtigen möglich. Ein Ermittler sagt dem Abendblatt: „Die brennende Frage ist, ob wir die Richtigen überwachen.“ Mit der Terrorwelle in Paris stellen sich jetzt neue Fragen: Sind auch unter den Flüchtlingen islamistische Gewalttäter, potenzielle Attentäter? Vor allem die CSU warnt vor einem neuen Sicherheitsrisiko, fordert durchgehende Kontrollen an deutschen Grenzen: „Wir müssen uns Klarheit verschaffen, wer durch unser Land fährt“, erklärte CSU-Chef Horst Seehofer. Sein Finanzminister Markus Söder (CSU) sagte der „Welt am Sonntag“: „Nicht jeder Flüchtling ist ein IS-Terrorist. Aber zu glauben, dass sich kein einziger Bürgerkrieger unter den Flüchtlingen befindet, ist naiv.“ Die Zeit unkontrollierter Zuwanderung könne so nicht weitergehen.

Sicherheitsexperten halten die Terrorgefahr durch Flüchtlinge allerdings für gering. Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen sagte dem Abendblatt: „Es ist möglich, dass mit den Flüchtlingen auch Terroristen kommen, aber wir halten das für weniger wahrscheinlich.“ Maaßen erklärte indes, „geordnete Verfahren“ bei der Einreise nach Deutschland seien für die Sicherheitsbehörden wichtig. Im Bundeskriminalamt (BKA) ist von hundert Hinweisen auf mögliche Terroristen unter den Flüchtlingen die Rede, zehn werden noch geprüft. Wer einen Anschlag plane, müsse keinen Flüchtlingsstrom nutzen, sondern habe ganz andere Möglichkeiten, nach Europa zu kommen, heißt es im BKA.

So sah auch das Sicherheitskabinett – Kanzlerin, Vizekanzler und die zuständigen Minister – am Wochenende keinen Anlass für einen Kurswechsel, auch nicht für schärfere Sicherheitsgesetze. „Unser freies Leben ist stärker als jeder Terror“, sagte Kanzlerin Angela Merkel. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) warnte ebenso wie de Maizière, Flüchtlinge jetzt unter Terrorverdacht zu stellen. „Sie dürfen nicht darunter leiden, dass sie aus Regionen kommen, aus denen Terror und fanatische Vernichtungswut zu uns getragen werden“, sagte Gabriel.