Belek.

Recep Tayyip Erdogan lächelt und weist seinen Kollegen einen Platz zu. Der türkische Gastgeber steht im Mittelpunkt, eingerahmt von den Präsidenten der USA und von China, zwei Supermächte, dahinter: die mächtigste Frau der Welt, Angela Merkel. Wer geglaubt hat, diesmal, nach den Anschlägen in Paris, werde alles anders, irrt. Wir sind beim G20-Gipfel in Belek Zeuge eines liebgewordenen Rituals: das Familienfoto. Auch sonst gilt die Devise „business as usual“. Beim Mittagessen reden sie über den Klimawandel, danach steht die Ökonomie auf der Tagesordnung. Die Wichtigsten und Mächtigsten der Welt kommen zusammen, und jeder erwartet eine gemeinsame Strategie gegen den Terror.

Es ist die legitime Leitfrage, aber die vorläufige Antwort darauf lautet: Wir lassen uns nicht unsere Agenda diktieren. Auch wird der Klimagipfel, der Ende des Monats in Paris beginnt, nicht abgesagt. Auch ein Statement. Sicher im Sinne des großen Abwesenden: François Hollande. Der französische Präsident bleibt daheim und lässt sich vertreten.

Am Abend diskutieren sie im kleinen Kreis über die akuten Themen: der Terror und die Flüchtlingskrise. In der für heute geplanten Abschlusserklärung verpflichten sich die Regierungschefs, sie gemeinsam anzugehen. Es wird sogar spekuliert, dass US-Präsident Barack Obama zusagen wird, ein festes Flüchtlingskontingent zu übernehmen, was Merkel in die Karten spielen würde; es ist auch ihr Lösungsansatz und Angebot an die Türkei.

Erst einmal steht das Treffen im Zeichen der Terroranschläge. Alle im Ferienort Belek bei Antalya teilen den Schmerz und viele kennen ihn auch, allen voran die Türken. Sicherheitskräfte nahmen bei Razzien vor dem Gipfel 20 mutmaßliche IS-Anhänger fest. Erst am Sonnabend sprengte sich ein Kämpfer der Terrororganisation „Islamischer Staat“ in der Türkei in die Luft und verletzte fünf Polizisten.

Erdogan rief dazu auf, den Kampf gegen den Terrorismus gemeinsam anzugehen. Um 16.35 Uhr erhoben sich die Regierungschefs der 20 großen und Schwellenländer von ihren Sitzen für eine Schweigeminute zu Ehren der Terroropfer in Paris. Sie wissen, dass sie es damit nicht bewenden lassen können. „Worte sind nicht genug. Heute ist es Zeit zu handeln“, preschte der EU-Ratspräsident Donald Tusk vor. Als ersten Schritt schlug er vor, die Finanzierungswege der Terroristen zu zerstören.

Die ersten Signale aus dem Elysee-Palast lassen nicht auf Aktionismus schließen. Die Franzosen wollen nicht die Nato auf den Plan rufen, nicht den sogenannten Bündnisfall beantragen. Sie wollen über die UN Druck machen, den Konflikt in Syrien zu regeln, der als eine Ursache für das Erstarken des IS gilt. Die Franzosen gehen über Wien, wo die Syrien-Verhandlungen laufen, und über den UN-Sicherheitsrat in New York.

Das hat damit zu tun, dass der Westen unbedingt einen Mann einbinden will, der nicht zur Nato-Familie zählt, aber in der Syrien-Krise immer wichtiger wird: Russlands Präsident Wladimir Putin. Der ließ schon mitteilen, dass er eine gemeinsame Linie gegen den Terror unterstütze. Daraufhin wird die Abschlusserklärung umgeschrieben.

Vor Selbstbewusstsein strotzt auch der Gastgeber. Die Türkei hat eine 910 Kilometer lange Grenze zu Syrien und ist damit ein Schlüsselstaat im Syrienkonflikt und in der Flüchtlingskrise. Erdogan und Putin haben wenige politische Gemeinsamkeiten, aber in der Kritik an den Westen sind sie sich einig: Dass es ein Fehler war – „wir haben sie gewarnt“ –, die Rebellen in Syrien aufzurüsten. Die Waffen seien in den Händen der Terroristen gelandet.

Ein noch größerer Krisengewinner ist Putin: Vor einem Jahr wurde der Russe wegen der Ukraine-Krise isoliert. Inzwischen ist er wieder ein Akteur auf der Weltbühne und hat seine strategischen Interessen in Syrien gefestigt. Sein Mantra: Hätten wir zusammen in Syrien agiert, gäbe es die Flüchtlingswelle nicht. Er will den syrischen Präsidenten Assad stützen – Erdogan wiederum nicht.

Wie der Russe, hat auch Erdogan einen politischen Schlachtplan. Er will eine Sicherheitszone in Syrien schaffen, in der Flüchtlinge leben können, und dort ein Flugverbot durchsetzen. Die kurdischen Kräfte in Syrien will er auf keinen Fall erstarken lassen. Beide, Erdogan wie Putin, reden auf Augenhöhe mit Merkel. Mit Letzterem traf sie sich noch spätabends.