Berlin . Die Kanzlerin bekommt für ihre Asylpolitik Kritik aus den eigenen Reihen – besonders von Männern, die sie einmal enttäuscht hat

Erst hat er gepoltert, eine Frage des Temperaments. Längst geht Horst Seehofer abgeklärter vor. Der CSU-Chef (unter)stützt die Leute, die ihm nützlich sind, vor allem Innenminister Thomas de Maizière (CDU). „Die Politik der Begrenzung von Zuwanderung bekommt Schritt für Schritt Rückenwind, das war ja nicht immer so“, hat Seehofer festgestellt, nachdem sich die Union die Verschärfung des Familiennachzugs auf die Fahnen geschrieben hat – ein Ergebnis, das es vielleicht nicht gegeben hätte, wenn die CSU den Innenminister nicht gestützt hätte.

Seehofer tat es, Finanzminister Wolfgang Schäuble auch. Dass die CDU in dieser Woche der Kanzlerin einen härteren Kurs aufzwang, geht auf das Zusammenspiel mehrerer Unionsgranden zurück, war aber nicht schon absehbar, als sich Hans-Peter Friedrich im September zum Frontalangriff gegen Angela Merkel aufgeschwungen und die „beispiellose Fehlentscheidung“ der Regierung kritisiert hatte. Seehofer, Schäuble, de Maizière, Friedrich – Merkels Quälgeister. Jeder von ihnen lässt Rücksichten fahren, eines haben alle gemeinsam: Sie trugen in Auseinandersetzungen mit Merkel Verletzungen davon. Eine kleine Geschichte über offene Rechnungen.

Hans-Peter Friedrich sitzt im Fond seiner Dienstlimousine auf dem Weg nach Bayern ins Wochenende. Es ist der 14. Februar 2014, Valentinstag. Es ist keine unbeschwerte Fahrt für den damaligen Agrarminister. Seit Tagen steht der CSU-Mann in der Kritik, im Zuge der Edathy-Affäre wird sein Kopf gefordert. Mit der Kanzlerin hat er verabredet, das Wochenende abzuwarten. Friedrich ist ohne Arg, als sich an diesem Freitag seine Chefin am Telefon meldet. Sie macht ihm klar, dass er Konsequenzen ziehen muss. Sofort.

Noch auf der Autobahn kehrt Friedrich um. Auf der Rückfahrt bereitet der Franke seine Rücktrittsrede vor – das jähe Ende einer Karriere. Wenn man Parteifreunde heute nach den Gründen für Friedrichs harte Haltung gegenüber Merkel fragt, dann werden viele Sachgründe aufgezählt und auch auf seine Zeit als Innenminister verwiesen. Aber keiner vergisst den Hinweis auf den schmachvollen Freitag, „das hat er bis heute nicht verwunden“.

Horst Seehofer bekam Merkels Macht viel früher zu spüren. 2004 setzte sie als Oppositionsführerin die Forderung nach einer Kopfpauschale durch. Es war das Gegenteil dessen, wofür Seehofer als Gesundheitspolitiker stand. Merkel, damals noch eine Neoliberale, nahm keine Rücksicht, und Seehofer trat alsbald als Fraktionsvize zurück. Mit dieser gemeinsamen Erfahrung erklären sich viele die Härte, die Seehofer heute in der Flüchtlingspolitik an den Tag legt. Auf dem Höhepunkt der unionsinternen Auseinandersetzung machte das böse Wort vom „Rachefeldzug“ die Runde. Kein Geschütz war ihm zu schwer: ein Ultimatum, die Vorbereitung einer Verfassungsklage. Für ihren grässlichsten EU-Widersacher, für den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, rollte er den roten Teppich aus.

Wolfgang Schäuble war potenziell schon alles in der Politik: Er wurde nicht Kanzlerkandidat, weil Helmut Kohl ihn fallen ließ; blieb nicht CDU-Chef, weil die junge Generalsekretärin Merkel ihn in der Spendenaffäre um den Parteivorsitz brachte; kam nicht als Bundespräsident zum Zuge, weil Merkel – nunmehr seine Chefin – mit dem unbekannten Horst Köhler einen eigenen Plan verfolgte. Auch in der Euro-Krise hat der heutige Finanzminister oft genug ihre Richtlinienkompetenz zu spüren bekommen. In jeder Liste der Reservekanzler der Union steht der Name Schäuble an erster Stelle. Er weiß es und kokettiert damit auf seine Art. Als Schäuble kürzlich gefragt wurde, ob er sich das Kanzleramt zutraue, verwies er auf Konrad Adenauer. Der sei mit 73 Jahren erstmals Kanzler geworden. Schäuble ist am 18. September 73 Jahre alt geworden. Schäuble ist kein Königsmörder, aber Nibelungentreue sollte man von ihm nicht erwarten. Über ihn und Seehofer schreibt die Hamburger Wochenzeitung die „Zeit“, sie dramatisierten, „indem sie den Blick von den Nöten der Menschen auf die Nöte der Partei lenken. Das darf man illoyal nennen.“

Thomas de Maizière kennt Merkel lange, ist ihr loyal, freundschaftlich verbunden und ordnet sich – bis zur Schmerzgrenze und noch viel weiter – unter. Der Generalssohn war gern Verteidigungsminister, bis Merkel ihn ohne Vorwarnung umsetzte. De Maizière sprach von Abschiedsschmerz, „ich bin nicht so kalt, einfach zu sagen, dann mache ich morgen etwas anderes“. Auch in der Flüchtlingspolitik bekam er ihre Richtlinienkompetenz zu spüren. Merkel setzte ihm ihren Amtsleiter Peter Altmaier zur Seite. Als letzte Woche bekannt wurde, dass der Innenminister eine andere Praxis für den Familiennachzug von syrischen Flüchtlingen anwies und die Kanzlerin nicht eingeweiht hatte, da pfiff ihn die Chefin zurück. Das heißt: Ihr Sprecher Steffen Seibert erledigte das für sie. Per Twitter. Es sind die Demütigungen, die sich auch einmal rächen können.