Berlin .

Wolfgang Schäuble gibt nicht auf. Die Steuern werden im kommenden Jahr geringer sprudeln als bislang eingeplant, das zeigt die neue Steuerschätzung. Zugleich werden Milliardenkosten für die Bewältigung des Flüchtlingszustroms den Bundeshaushalt belasten. Doch neue Schulden will der Bundesfinanzminister deshalb auch 2016 möglichst nicht aufnehmen: An der „schwarzen Null“ eines ausgeglichenen Haushalts, seinem zentralen Projekt dieser Wahlperiode, hält der CDU-Politiker fest.

„Aus heutiger Sicht“ sei man in der Lage, den Haushalt „ohne Neuverschuldung“ zu finanzieren, sagte der Minister bei der Vorlage der neuen, mit Spannung erwarteten Steuerschätzer-Zahlen. Schließlich ergebe sich angesichts der guten Wirtschaftslage im laufenden Jahr ein „hinreichender Überschuss“ von mindestens 5 Milliarden Euro im Bundeshaushalt, der ins nächste Jahr übertragen werde.

Eine Garantie freilich will der Finanzminister nicht mehr abgeben: Klarheit, ob die Rechnung aufgeht und die „schwarze Null“ gehalten werden kann, werde erst Ende nächsten Jahres bestehen. Und für die Folgejahre werde der Spielraum geringer – das Risiko, den Null-Schulden-Kurs aufgeben zu müssen, steigt also ausgerechnet mit der Nähe zum Wahljahr 2017.

Die entscheidende Unbekannte sind die Kosten für die Flüchtlinge, die sich nach Schätzungen gesamtstaatlich auf einen Betrag von 15 bis 18 Milliarden Euro jährlich summieren dürften. Auf der Einnahmeseite herrscht im Kern weiter Zuversicht: Die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen sollen nächstes Jahr zwar um 5,2 Milliarden Euro niedriger ausfallen als noch im Mai angenommen, 4,9 Milliarden Euro davon entfallen auf den Bund: Doch das ist vor allem die Folge einer moderaten Entlastung bei der Einkommensteuer (Dämpfung der kalten Progression) und einer etwas verbesserten Förderung von Familien (Kindergeld und anderes), die im nächsten Jahr wirksam werden. Grundsätzlich ist der Aufwärtstrend trotz der Delle nicht gebrochen: Die Steuereinnahmen steigen von 671,7 Milliarden Euro in diesem Jahr auf 686,2 Milliarden Euro 2016. Für 2017 werden nun sogar 717,6 Milliarden, für 2018 744,6 Milliarden Euro erwartet – ein Plus von jeweils 2 Milliarden gegenüber bisherigen Schätzungen, das indes nur Ländern und Kommunen zugute kommt. Ein Grund: Der Bund hat wegen der Flüchtlingskosten schon auf künftige Steueranteile zugunsten der Länder verzichtet, daran wird Schäuble noch zu knabbern haben.

Noch ist es nicht so weit: „Der deutsche Staat ist solide finanziert und handlungsfähig“, bilanzierte der Minister zufrieden. Auch die Haushaltsexperten der Koalition geben Rückendeckung: „Wir werden das Ziel eines Haushalts ohne neue Schulden auch 2016 verfolgen“, sagte der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Johannes Kahrs. Sein Unions-Kollege Ralph Brinkhaus mahnte allerdings, ohne eine nachhaltige Haushaltspolitik drohe eine neue Schuldenspirale.

Der Bund der Steuerzahler warnt schon: „Es ist ausreichend Geld vorhanden, um die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte fortzusetzen. Für den Bund gibt es keinen Grund, von der schwarzen Null abzuweichen.“ Bislang kommen auch aus Brüssel ermutigende Signale: Bis 2017 erwartet die EU-Kommission eine weitere wirtschaftliche Erholung, heißt es im Herbstgutachten, das Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici vorstellte. Das Wachstum der Euroländer werde von 1,6 Prozent im laufenden Jahr über 1,8 Prozent 2017 auf 1,9 Prozent 2017 klettern. „Der Rückenwind bläst weiter“, meinte Moscovici. Allerdings würden wichtige Schubkräfte wie der niedrige Ölpreis oder günstige Zinsen an Wirkung verlieren.

Dafür könne die Aufnahme einer großen Zahl von Flüchtlingen sogar ein Wachstumsplus erzeugen. „Unter bestimmten Bedingungen ist die ökonomische Wirkung eher günstig, wenn auch nicht massiv“, sagte Moscovici. Zunächst kämen auf die am stärksten betroffenen Ankunfts- und Zielländer zwar zusätzliche Ausgaben zu. Auf mittlere Sicht (bis 2020) ergebe sich aber ein Wachstumsplus von 0,2 bis 0,3 Prozent, in Deutschland könnte es sogar bis zu 0,7 Prozent betragen.

Profitieren könnten vor allem die Hauptaufnahmeländer, wenn die Politik dort für Eingliederung der Ankömmlinge sorge. Das entspreche dem von vornherein verfolgten humanitären Ansatz der Kommission. Moscovici sagte: „Auf wirtschaftlicher Ebene steht dem nichts entgegen – im Gegenteil!“