Ankara.

Bei der Parlamentswahl am Sonntag in der Türkei hat die regierende islamisch-konservative Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan einen deutlichen Sieg eingefahren. Nach Auszählung fast aller Stimmen kommt die AKP auf fast 50 Prozent. Das wären fast neun Prozentpunkte mehr als bei der Wahl im vergangenen Juni.

Die AKP hat damit eine klare Mehrheit von 316 der 550 Sitze in der Nationalversammlung in Ankara, wie die Nachrichtenagentur Anadolu am Abend meldete. Sie kann damit, wie in den vergangenen zwölfeinhalb Jahren, allein regieren. „Ich hoffe, unsere Nation wird die Stabilität wählen“, hatte Präsident Erdogan bei der Stimmabgabe erklärt. Die prokurdische Partei HDP schaffte den Sprung über die Zehnprozenthürde, allerdings nur sehr knapp.

Nach der Bekanntgabe der ersten Wahlergebnisse kam es in der Kurdenmetropole Diyarbakir zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. Die Polizei setzte Tränengas gegen eine Gruppe ein, die sich vor dem Gebäude der prokurdischen Partei HDP versammelt hatte und gegen die Wahlergebnisse protestierte. Einige Demonstranten warfen Steine.

Die Mitte-links-Partei CHP kam wie im Juni auf etwa 25 Prozent, die ultrarechte MHP auf rund zwölf Prozent. Die MHP hätte damit im Vergleich zum Juni (16,3 Prozent) am meisten Wähler verloren. Die AKP hatte die ihr ideologisch oft nahestehenden MHP-Wähler massiv umworben. Die letzten Umfragen hatten aber nicht auf eine absolute Mehrheit für die AKP hingedeutet.

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu bedankte sich bei den Wählern für den spektakulären Sieg seiner AKP. „Ich bin euch und meinem Volk Dank schuldig“, sagte er am Sonntagabend in seiner Heimatstadt Konya. „Das ist nicht unser Sieg, das ist der Sieg unseres Volkes, das ist der Sieg von Konya, das ist der Sieg unserer Nachbarn, das ist der Sieg unserer Bürger.“ Die Menge skandierte „Allahu Akbar“ („Gott ist groß“) und „Die Türkei ist stolz auf dich“. Auf Twitter schrieb Davutoglu nach dem Wahlsieg: „Elhamdülillah ...“ („Gelobt sei Gott ...“)

Die Wahl fand unter äußerst strengen Sicherheitsmaßnahmen statt. Überschattet wurde der Wahlkampf von Unruhen, inneren Spannungen und einer zunehmenden politischen Polarisierung. Seit den bürgerkriegsähnlichen Zuständen der späten 70er-Jahre fand keine Parlamentswahl in der Türkei in einem solchen Klima der Gewalt, der Einschüchterung und der Angst statt. In den Südostprovinzen flammte der Kurdenkonflikt erneut auf, Hunderte haben in den vergangenen Wochen bei Anschlägen der militanten kurdischen Guerillabewegung PKK und Bombardements der türkischen Streitkräfte ihr Leben verloren. Bei Selbstmordattentaten, die der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) zugeschrieben werden, starben seit Juni über 130 Menschen.

Erdogans großes Ziel ist die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei, mit sich selbst an der Spitze. Unter dem neuen System würden zahlreiche Kompetenzen vom Parlament und der Regierung auf den Präsidenten übertragen. Dazu müsste allerdings die Verfassung geändert werden.

Die gestrige Parlamentswahl war bereits der zweite Urnengang in fünf Monaten. Sie wurde nötig, nachdem die AKP bei der Wahl Anfang Juni erstmals seit mehr als zwölf Jahren ihre absolute Mehrheit verloren hatte. Weil Koalitionsverhandlungen scheiterten, setzte Erdogan Neuwahlen an – in der Hoffnung, dass seine AKP diesmal die absolute Mehrheit zurückerobern würde. Im Juni hatte die prokurdische HDP überraschend mit 13 Prozent Stimmenanteil die Zehnprozenthürde übersprungen.

Kritiker werfen dem Präsidenten despotische Züge vor

Für zunehmende Kontroversen im Land sorgt auch der Konfrontationskurs, den Erdogan und die Regierung gegenüber ihren Kritikern steuern. Oppositionspolitiker warfen Erdogan immer wieder vor, er lege zunehmend despotische Züge an den Tag und wolle ein autoritäres Staatsmodell in der Türkei etablieren.

Die Repression der türkischen Medien erreichte vergangene Woche mit der Enteignung des Medienkonzerns Koza Ipek einen neuen Höhepunkt. Dem Unternehmen werden Verbindungen zu dem Erdogan-Erzfeind Fethullah Gülen vorgeworfen. Ein großes Polizeiaufgebot stürmte am vergangenen Mittwoch mit Wasserwerfern und Tränengas den Sitz des Medienhauses im Istanbuler Stadtteil Sisli. Nach der Einsetzung eines Zwangsverwalters verbreiten die beiden Zeitungen der Mediengruppe, die früher regierungskritischen Blätter „Millet“ und „Bugün“, jetzt staatstragende Lobeshymnen auf die Regierung und Erdogan.

In einem offenen Brief an Erdogan äußerten Herausgeber weltweit führender Medienunternehmen wie der „New York Times“, der „Washington Post“ und internationaler Nachrichtenagenturen Besorgnis über den Zustand der Meinungsfreiheit in der Türkei. Erdogan reagierte darauf am Wochenende mit der Bemerkung: „Was geht euch das an? Kümmert euch um die Wahlen in euren Ländern!“