Berlin .

Nur zwei Stunden dauert der Koalitionsgipfel, die Erklärungen danach sind kurz und karg. Ein „konstruktives Gespräch über alle Aspekte der Flüchtlingssituation“ habe man geführt, erklärt Regierungssprecher Steffen Seibert. Ein ruhiges, entspanntes Gespräch soll es gewesen sein zwischen den Parteichefs Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel morgens ab neun Uhr im Kanzleramt, heißt es. Doch hinter den diplomatischen Floskeln verbirgt sich, das wird schnell klar, eine bittere Botschaft: Der mit Spannung erwartete Koalitionsgipfel zur Flüchtlingskrise ist gescheitert.

Seehofers Ultimatum scheint erst einmal verpufft zu sein

Das Ultimatum von CSU-Chef Horst Seehofer, bis zum Sonntag müsse es eine Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik geben, scheint zwar an diesem Vormittag erst einmal verpufft – die Koalition findet aber keine gemeinsame Linie im Flüchtlingsstreit und vertagt sich bloß. Mit düsterem Blick verlässt SPD-Chef Gabriel schon kurz vor elf Uhr das Kanzleramt, sein Gesicht spricht Bände. Drinnen berät CDU-Chefin Merkel mit Seehofer weiter, später kommen Unionsfraktionschef Volker Kauder und CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt dazu, über fünf Stunden sitzen sie zusammen.

Schon am Vorabend hatte die Unionsspitze stundenlang im Kanzleramt beraten. CDU und CSU wollen, so ist später zu hören, ihren öffentlichen Streit herunterfahren – obwohl der Grundkonflikt zwischen Seehofer und Merkel nicht geklärt ist. Stattdessen streiten jetzt Union und SPD. Noch während die Unionsspitzen drinnen diskutieren, geht es draußen los: Die Union nütze mit „Schäbigkeitswettbewerben“ nur den Rechtsextremisten, schimpft SPD-Vize Ralf Stegner. Unionsvizin Julia Klöckner wirft der SPD im Gegenzug eine „unverständliche Bockigkeit“ bei kurzfristigen Maßnahmen vor.

Vordergründig hat sich die Sache beim Thema Transitzonen verhakt, obwohl beide Seiten so weit gar nicht auseinander sind. Gabriel hatte sich gewappnet: Am Sonnabend holte er sich von SPD-Präsidium und SPD-Ministerpräsidenten Rückendeckung für einen eigenen Vorschlag. Statt großer Transitzonen solle es in allen Bundesländern dezentrale Registrierungs- und Einreisezentren geben. Bei dem Unionsvorschlag handele es sich um „riesige Haftzonen“, die weder organisatorisch noch rechtlich darstellbar seien, erklärte Gabriel. Bei täglich annähernd 10.000 neuen Flüchtlingen gäbe es in drei Tagen 30.000 Haftplätze, dafür müsste man „Fußballstadien umrüsten“.

Die SPD will stattdessen finanziellen Druck auf die Asylsuchenden aufbauen: Nur wer sich in den Einreisezentren registrieren lasse, solle hinterher den vollen Anspruch auf staatliche Leistungen haben. Wer sich dem Verfahren verweigere, der werde weniger Leistungen erhalten und erhebliche Nachteile im Asylverfahren erleiden. Während die Union über die Transitzonen schnelle Abschiebungen durchsetzen will, geht es der SPD vor allem um ein Verfahren zur Kontrolle und Registrierung der Einreisenden. Und während die SPD alle Anklänge an Internierungslager ablehnt, will die Union die Bereiche bewachen und einzäunen lassen – auch wenn sie jetzt bereit ist, die Zonen von der Grenze weg ins Landesinnere zu verlegen.

Eine Einigung kommt so nicht zustande. Auch beim Familiennachzug nicht. Das war der zweite Punkt, den die CSU vor dem Wochenende ins Spiel gebracht hatte: Sie will eine befristete Aussetzung des Familiennachzugs erreichen aus der Sorge heraus, dass sonst später noch einmal Millionen Kinder, Eltern und Verwandte von bleibeberechtigten Flüchtlingen einreisen dürften. Das Verfassungsgericht setze diesem Vorhaben enge Grenzen, zudem bringe ein solcher Schritt kurzfristig überhaupt nichts, heißt es dagegen bei der SPD.

Jetzt soll erst einmal geprüft werden, ob womöglich die Verfassung geändert werden müsste und ob es Mehrheiten im Bundestag gäbe. Über das Thema soll in den nächsten Tagen weiter beraten werden, auch über die Transitzonen. Dazu werden sich Fachleute von Bund und Ländern über die Vorschläge beugen, am Donnerstag wollen sich die drei Parteichefs dann erneut zusammensetzen. Abends werden sie dann mit den Ministerpräsidenten im Kanzleramt beraten.

Ob CSU-Chef Seehofer dann doch noch einen Erfolg erringt? Nach dem Koalitionsgipfel steht er zunächst mit leeren Händen da. Ursprünglich hatte er von Merkel eine Kehrtwende verlangt. Die CDU-Chefin solle ein glasklares Signal zur Begrenzung der hohen Flüchtlingszahlen aussenden. Das lehnt Merkel aber weiter ab, obwohl sie zunehmend unter Druck steht: Die Umfragewerte der Union sinken deutlich, bei der Fraktionssitzung von CDU/CSU am Dienstag droht massiver Ärger.

Merkels Unterstützer machen dennoch weiter Mut: Es werde schon bald eine Einigung der Koalition geben, versicherte etwa Unionsfraktionsvize Thomas Strobl. Alle wüssten, dass die Lage ernst sei und weitere Maßnahmen gebraucht würden. Doch die Opposition hat die Hoffnung schon aufgegeben: Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt nannte das Ergebnis des Koalitionsgipfel einen „Ausdruck irritierender Hilflosigkeit“.