Berlin. Bundestagsabgeordnete wollen mehr Einsicht in das umstrittene Freihandelsabkommen mit den USA

Es ist eine Szene wie aus einem Film. Der Schauplatz: ein hochgesicherter Raum in der US-Botschaft am Brandenburger Tor. Die Personen: Besucher, die ihr Telefon abgeben müssen und sogar keine eigenen Stifte für Notizen mitbringen dürfen. Im Mittelpunkt: geheime Dokumente zum umstrittenen Handelsabkommen TTIP, um das die EU-Kommission und die USA seit Monaten ringen.

„Eine skurrile Geschichte“, findet Dirk Wiese. Der SPD-Abgeordnete ist der Experte seiner Bundestagsfraktion für TTIP. Noch skurriler: Wiese selbst hat den Raum in der US-Botschaft noch nie gesehen und auch nicht sehen können. Er weiß nicht einmal, ob es diesen Ort gibt. Denn die deutschen Volksvertreter, die in einigen Jahren einmal über das Abkommen abstimmen sollen, dürfen die TTIP-Dokumente in der Botschaft gar nicht lesen.

Von TTIP werden Millionen von Menschen betroffen sein

Dieser Zustand sorgt im Bundestag seit Monaten für Missvergnügen. Die Bundestagsabgeordneten und allen voran Parlamentspräsident Norbert Lammert wollen ihn nun unbedingt beenden (siehe Interview). Lammert erhöht deshalb den politischen Druck. Mehrfach hatte er sich für seine Abgeordneten und für mehr Transparenz eingesetzt. Doch selbst im Gespräch mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker blieb er wirkungslos.

Hinter dem englischen Kürzel TTIP verbirgt sich die „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“. Gemeint ist ein Abkommen, das – sollte es je in Kraft treten – Millionen von Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks betreffen wird. Denn in den Verhandlungen geht es beinahe um alle Bereiche der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens. Gegner von TTIP befürchten, dass die international vergleichsweise hohen europäischen Normen durch das Abkommen unterwandert werden. Ökologische und soziale Standards könnten sinken.

Jedenfalls haben diese Sorgen dazu geführt, dass TTIP inzwischen das wohl am genauesten beobachtete internationale Abkommen aller Zeiten ist – und das, um das sich die meisten Mythen ranken. Der wahrscheinliche Grund dafür: Wenn unbekannte Spitzenbeamte der Europäischen Union und der USA hinter verschlossenen Türen verhandeln, sorgt das für Spekulationen und für Misstrauen. Und tatsächlich fanden die Gespräche zunächst im Geheimen statt. Nur auf massiven öffentlichen Druck hin ließen die USA und die EU-Kommission immer mehr Licht in die Verhandlungen. Seit EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström im Amt ist, hat es eine Informationsoffensive gegeben.

Inzwischen haben sowohl die EU als auch die USA bergeweise Dokumente ins Internet gestellt: Textentwürfe, Positionspapiere, Faktenblätter. Wer das alles lesen will, braucht nicht Tage, sondern Wochen. Nach jeder Verhandlungsrunde – die letzte endete am vergangenen Freitag im amerikanischen Miami – gibt der Chefverhandler der EU, der Spanier Ignacio Garcia Bercero, ein öffentliches Statement ab. Auch sein Gegenpart auf der amerikanischen Seite, Dan Mullaney, wird nicht müde, öffentlich Stellung zu nehmen. Doch reicht das wirklich?

Die entscheidenden Papiere und Protokolle, in denen die Verhandlungen und ihre Ergebnisse beschrieben und bewertet werden, bleiben weiterhin unter Verschluss. Das gilt auch und vor allem für die Übersicht über die Verhandlungspositionen der USA und der EU zu den Themen von TTIP. Während die EU ihre Positionen zum Teil öffentlich gemacht hat, halten die USA ihre nach wie vor geheim. Diese sogenannten „konsolidierten Texte“, in denen die Standpunkte beider Seiten einander gegenübergestellt werden, sind es, die nur in der US-Botschaft gelesen werden können.

Nur exakt 139 Mitarbeiter der Bundesregierung haben Zugang dazu, und auch das nur nach Voranmeldung und für eine begrenzte Zeit und unter Aufsicht eines Mitarbeiters der US-Botschaft. Für Bundestagsabgeordnete gilt alles das nicht. Sie müssen draußen bleiben.

„Unser Verhandlungspartner ist nur die EU“, sagt eine Sprecherin der US-Botschaft. Die EU-Kommission sei von den nationalen Regierungen mit den Verhandlungen beauftragt worden. Deshalb könnten nationale Parlamente nicht mitreden. Aber Abgeordnete des EU-Parlaments, die sich mit TTIP befassen, könnten durchaus Einblick in die Unterlagen nehmen.

„Dass wir uns selbst kein Bild machen können, ist völlig indiskutabel“, empört sich die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann. „Ich verstehe das nicht. Das vergrößert die Kritik an TTIP doch nur“, schüttelt Haßelmann den Kopf.

Inzwischen sind viele geheime Dokumente durchgesickert

Der SPD-Politiker Dirk Wiese sagt zwar von sich, er sei über den Verhandlungsstand bei TTIP informiert. „Aber ich würde gern selbst in die Papiere schauen können.“ Wiese behilft sich, indem er Parteifreunde im EU-Parlament befragt und auf Informationen aus dem Bundeswirtschaftsministerium vertraut. Auch seien geheime Dokumente durchgesickert und im Internet abrufbar.

Vor Kurzem gab sich der CDU-Abgeordnete Jürgen Hardt durch einen Zwischenruf im Bundestag als vermutlich einziger Parlamentarier zu erkennen, der bislang in der US-Botschaft in die geheimen Dokumente schauen durfte. Seine Funktion als „Koordinator der transatlantischen Beziehungen“ brachte ihn auf die Liste der Regierungsvertreter, die Zugang haben. Auch Hardt ist der Ansicht, dass Abgeordnete sich die Dokumente ansehen können sollen. Sein Fazit lautet aber: „Es ist Zeitverschwendung, sich das alles anzuschauen.“ Und den geheimen Raum, den gebe es in Wirklichkeit gar nicht.