Dresden/Berlin .

Eine knappe Stunde, nachdem der Pegida-Geburtstag mit Frust, Hass und Hetze zu Ende war, knallt es in der Dresdner Innenstadt. Ein Böller geht hoch, eine Leuchtrakete. Kurz darauf rennen rund 100 junge Männer über die Gleise der Straßenbahn, hinter ihnen Polizisten mit gezogenen Schlagstöcken. Es kommt zu Rangeleien, dann treibt die Gruppe auseinander wie ein Tropfen Tinte im Wasser. Die Männer sind schwarz gekleidet, manche vermummen ihr Gesicht. Vorher standen sie auf dem Theaterplatz in Dresden und jubelten den Rednern auf der Pegida-Kundgebung zu.

Sicherheitsbehörden und Politologen sehen eine Radikalisierung der Bewegung in den vergangenen Monaten. Doch wie stark ist die Bewegung geprägt von Rechtsextremen? Während der knapp drei Stunden Kundgebung am Montag mischen sich unter die Pegida-Anhänger auch Gruppen von jungen Männern mit Kleidung, die in der Neonazi-Szene beliebt ist, wie etwa Thor Steinar. Als es am Rande der Demons­tration zu Rangeleien zwischen Gegendemonstranten, Polizei und Rechten kommt, sagt einer zu seinem Kumpel: „Mach dich kampfbereit!“ Sätze und Bilder, die Indizien einer Radikalisierung der Pegida-Bewegung sind.

Die Pegida-Bewegung war nach Streitigkeiten Anfang des Jahres schon am Ende. Jetzt kommen wieder 15.000 bis 20.000 Menschen zu den Demonstrationen. Das hat vor allem mit der Flüchtlingskrise zu tun. Sie verschafft Pegida einen unverhofften Aufwind.

Pegida wird noch nicht vom Verfassungsschutz beobachtet

Der Satz, über den am Tag nach Pegida am meisten diskutiert wird, kommt ausgerechnet von einem Deutschtürken. „Es gäbe natürlich andere Alternativen, aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb“, sagte Romanautor Akif Pirinçci. Allerdings bezog er diesen Satz nicht auf Flüchtlinge. Er wollte deutsche Politiker verunglimpfen, die nach seinen Worten „zunehmend als Gauleiter gegen das eigene Volk“ agierten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verdacht auf Volksverhetzung.

Vor einer Woche der Galgen für Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Ga­briel. Jetzt Schlägereien und Konzentrationslager-Parolen. Stanislaw Tillich, Ministerpräsident von Sachsen, ist alarmiert. „Auch gestern haben wir wieder eine unerträgliche Hetze bei der Pegida-Demonstration erleben müssen“, sagte Tillich dieser Zeitung. „Wir müssen aufpassen, dass dadurch der Zusammenhalt unserer Gesellschaft nicht aufs Spiel gesetzt wird. Wir erleben zunehmend eine gefährliche Radikalisierung und Gewalt bei politischen Auseinandersetzungen.“

Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel beobachtet eine neue Qualität. „Pegida ist eine rechtspopulistische und in Teilen offen rechtsradikale Empörungsbewegung geworden“, sagte Gabriel der „Süddeutschen Zeitung“. Pegida sei „der verlängerte und sprachlich brutalisierende Arm der AfD und der NPD auf der Straße“. Martin Schulz, Präsident des EU-Parlaments, schätzt, dass es in Deutschland weniger Rechtsextreme gibt als in anderen Ländern. „Aber die Gewaltbereitschaft und die Brutalität sind deutlich höher“, sagte Schulz der „Rheinischen Post“.

Was kann man dagegen tun? Sollte Pegida verboten werden? CDU-Innenexperte Ansgar Heveling sieht eine eindeutige Radikalisierung. Doch ein Verbot der Pegida-Demonstrationen sei wahrscheinlich nicht ganz einfach durchzusetzen, sagte der neue Vorsitzende des Innenausschusses dieser Zeitung. „Dennoch muss der Staat auch in dieser Frage dranbleiben und genau prüfen, ob ein Verbot von Pediga vor Gericht durchsetzbar ist.“ Gregor Gysi, bis vor Kurzem Fraktionschef der Linken im Bundestag, sagte, man müsse im Versammlungsrecht durchsetzen, dass eine Genehmigung für eine Demonstration „dann untersagt werden kann, wenn Rednerinnen und Redner auftreten, bei denen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden muss, dass sie volksverhetzend sprechen werden“.

NRW-Innenminister Ralf Jäger hält hingegen nichts von „reflexartigen Verboten“. Das Demonstrationsrecht sei einer der Grundpfeiler unserer Demokratie. Doch wer bei Pegida mitlaufe, „macht sich mitschuldig, dass Hass und Gewalt salonfähig werden. Die menschenverachtende Hetze vergiftet unsere Gesellschaft und führt zu Attentaten wie in Köln.“ Auch Bayerns Innenminister hält nichts von einem Verbot „Es ist zunächst Aufgabe der Politik und der Sicherheitsbehörden, diese Rattenfänger zu enttarnen“, sagte Joachim Herrmann (CSU) dieser Zeitung.

Ähnlich argumentiert Grünen-Chef Cem Özdemir. „Mit einem Verbot würde man den Organisatoren nur einen Gefallen tun, damit sie sich in ihrer Opferrolle suhlen können“, sagte Özdemir dieser Zeitung. Selbst wenn es schwerfalle zu ertragen, was da gesagt und gezeigt werde: Das Demonstrationsrecht gelte auch für die Feinde der Demokratie. SPD-Vize Ralf Stegner ist beim Thema Verbot zurückhaltend: „Notwendig ist jetzt eine verstärkte Beobachtung der Pegida-Bewegung durch den Verfassungsschutz ebenso wie die konsequente Ahndung von Straftaten aus solchen Gruppierungen.“

Gibt es denn eine Überwachung durch den Inlandsgeheimdienst? Bisher hat der Verfassungsschutz Pegida in Dresden nicht offiziell beobachtet – also nicht als rechtsextreme Organisation eingestuft. Zu unterschiedlich seien die Akteure, zu diffus die Motive und Ziele der Bewegung, hieß es bisher. Noch im September schrieb die Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen: „Bei einer Reihe von Kundgebungen war eine rechtsextremistische Einflussnahme oder Steuerung in unterschiedlicher Ausprägung erkennbar.“ Generell sei das aber nicht belegbar. Jede einzelne Veranstaltung müsse daher auf einen rechtsextremistischen Gehalt hin bewertet werden.