Berlin.

Angela Merkel (CDU) weiß, dass die Flüchtlingskrise die schwierigste Situation ihrer Kanzlerschaft ist. Sie habe es „nicht in der Hand, wie viele Flüchtlinge kommen“, sagte Merkel ungewohnt offen im Fernsehen. Doch was steht tatsächlich in ihrer Macht? Eine Untersuchung der politischen Instrumente.

Schärfere Asylgesetze: Kurzfristig könnte das Gesetzespaket helfen, das bald in Kraft tritt. Für Wirtschaftsflüchtlinge reduziert es die Anreize (Sachleistungen statt Geld), ferner versetzt es das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in die Lage, über die Asylanträge von Menschen aus sicheren Drittstaaten rasch zu entscheiden.

Finanzhilfen für Flüchtlingslager: Die Kanzlerin hat mit Erfolg darauf gedrängt, dass die EU eine Milliarde Euro zusätzlich zur Versorgung syrischer Flüchtlinge in Nachbarstaaten des Bürgerkriegslandes ausgibt. Das Geld soll etwa an das UN-Welternährungsprogramm WFP und das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR fließen. Es liegt in Merkels Macht und kann helfen.


Hotspots an den Außengrenzen: Ein EU-Sondergipfel beschloss, bis Ende November in Italien und Griechenland Registrierungszentren (Hotspots) für Flüchtlinge einzurichten. Dort sollen die Asylbewerber aufgenommen, versorgt, registriert und auf die EU-Staaten verteilt werden. Der Plan ist gut, hat aber einen Haken: Die Partner müssen sich erst auf einen Verteilschlüssel einigen. Merkel bohrt ein dickes Brett, aber dürfte Erfolg haben.

Die Türkei als Pufferzone: Merkel hat viel auf diese Karte gesetzt und ist in die Türkei gereist. Das Ergebnis ist ernüchternd. Ein Rückführungsabkommen wird erst 2017 in Kraft treten. Die Türkei stellte in Aussicht, bis dahin ihre Grenzen besser zu schützen, Hilfe von der EU-Agentur Frontex „zu prüfen“ und aggressiver gegen Schlepperbanden vorzugehen. Die Türkei steht indes selbst unter Druck. Die Zahl der Binnenflüchtlinge in Syrien wird auf sieben Millionen geschätzt. Im Moment nehmen die Kämpfe zum Beispiel um Aleppo an Härte zu, so dass die Türkei befürchten muss, dass mehr Flüchtlinge kommen. Für sie würde die Türkei sogenannte safe zones auf der syrischen Seite der Grenze einrichten. Merkel hält wenig von der Idee. Es wird Jahre dauern, bis sie die Türken eingespannt hat.

Transitzonen: Die jüngste Idee. Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach sieht im Aufbau von Transitzonen an der Grenze zu Österreich einen Vorteil: „Zumindest könnte man dann über offensichtlich unbegründete Anträge rascher entscheiden.“ Die Menschen würden gar nicht erst auf die Kommunen verteilt, sondern umgehend wieder zurückgeschickt. So wird schon an den Flughäfen verfahren. Wie an den Airports müsste sichergestellt werden, dass die Menschen die Transitzonen nicht verlassen können. Merkel will beim Partner für die Transitzonen werben. Die SPD hat die Tür nicht zugeschlagen, ist reserviert. Transitzonen wären einen Versuch wert, sie würden den Flüchtlingsstrom bremsen.

Grenzen dicht machen: Eine Gruppe um den CDU-Abgeordneten Christian von Stetten bereitet einen solchen Antrag vor. Der „Bild“ sagte er, „auch eine Prüfung einer Grenzbefestigung darf kein Tabu sein.“ Er sei zwar „der festen Überzeugung“, dass die Regierung einen wirksamen Plan habe, um den unkontrollierten Flüchtlingsandrang zu stoppen. Doch „sollte sich in der nächsten Woche herausstellen, dass diese Annahme falsch war, muss unsere Fraktion reagieren“. Merkel müsste zum Handeln getrieben werden. Realisierungschance: gering.
Familiennachzug einschränken: 98 Prozent der Flüchtlinge aus Syrien erhalten ein Bleiberecht nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Das gilt für drei Jahre. Bis dahin wird geprüft, ob die Verhältnisse im Herkunftsland eine Rückkehr erlauben. Die Familie darf nur nachziehen, wenn der Flüchtling den Lebensunterhalt und einen angemessenen Wohnraum garantieren kann. Nun gibt es in Unionskreisen immer häufiger die Forderung, den Familiennachzug für Flüchtlinge ersatzlos zu streichen. Sie stoßen bei Merkel nicht auf taube Ohren. Es ist der Plan mit den besten Realisierungschancen.


Einschränkung des Asylrechts: Viele in der Union fordern Obergrenzen. Sie beißen bei Angela Merkel auf Granit. Es gibt keine realistische Aussicht auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat, um den Artikel 16 einzuschränken. Die meisten Neuankömmlinge erhalten kein Asyl, sondern ein Bleiberecht. Das heißt: Eine Änderung wäre ein großer politischer Kraftakt – und würde doch wenig bringen.

Resettlement: Es ist eine Idee, deren Zeit nicht gekommen ist, aber von Experten gedanklich durchgespielt wird. Resettlement ist ein Verfahren zur Aufnahme von Flüchtlingen, meist kleine Kontingente mit 10.000 oder 20.000 Plätzen. Wenn man sie europaweit und massiv ausweiten würde, ergäben sich einige Vorteile. Die Flüchtlinge würden in den Lagern in Syrien oder Jordanien bleiben und sich dort bewerben. Damit hätte sich zugleich das Geschäftsmodell der Schleuser erledigt. Vor allem könnte man präziser steuern, wie viele und wer wann kommen darf. Das klingt kühn. Tatsächlich würde auch dieser Plan eine Änderung des Grundgesetzes erfordern. Die Rechnung geht nur auf, wenn die Kontingente großzügig sind, jedes EU-Land mitmacht und an den Außengrenzen die Flüchtlinge abgewiesen werden, die sich nicht um ein Resettlement-Programm bemühen. Der Plan liefe auf einen Neustart der Asylpolitik hinaus. In diesem frühen Stadium bleibt unklar, ob Merkel auf den Reset-Knopf drücken würde.