Berlin.

Politikfrust war gestern: Jugendliche und junge Erwachsene sind heute deutlich politischer als noch vor zehn Jahren. Sie gehen zu Demonstrationen, unterzeichnen Online-Aufrufe, boykottieren umstrittene Konsumprodukte und engagieren sich in Bürgerinitiativen. Wie die neue Shell Jugendstudie zeigt, sind heute 41 Prozent der jungen Deutschen zwischen zwölf und 25 Jahren politisch interessiert – bei den über 15-Jährigen ist es sogar fast jeder Zweite. „Wir können stolz sein auf diese Generation“, sagte Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) bei der Vorstellung der Studie in Berlin.

Seit 1953 fragt die Shell Jugendstudie regelmäßig nach Werten und Einstellungen von Jugendlichen in Deutschland. 2002 hatten die Forscher das Land aufgeschreckt: Nur noch 30 Prozent der Jugendlichen interessierten sich damals für Politik – ein Tiefpunkt. Seitdem wächst das Interesse wieder: Für Jungen ist das Thema wichtiger als für Mädchen, Gymnasiasten und Studenten sind politischer als Gleichaltrige mit niedrigerem Bildungsstand. Insgesamt sagen heute immerhin wieder vier von zehn Jugendlichen, dass sie sich für Politik interessieren. Die großen Parteien jedoch meidet diese „Generation im Aufbruch“, wie die Studienautoren schreiben: Sie misstrauen der etablierten Politik – und suchen sich lieber eigene Wege.

Bemerkenswert offen für Zuwanderung

Für die 17. Shell Jugendstudie wurden rund 2500 junge Deutsche befragt, zusätzlich führten die Forscher 21 Einzelinterviews. Erstmals steht eine Generation im Mittelpunkt, die ausschließlich im wiedervereinigten Deutschland aufgewachsen ist. Der wichtigste Trend: Die optimistische Grundstimmung hat sich gegenüber 2010 noch verstärkt, die starke Bindung an Familie und Freunde ist stabil – doch statt wie zuletzt vor allem auf das eigene Leben und das private Umfeld zu schauen, achten die jungen Deutschen jetzt wieder stärker auf die Welt um sie herum.

Das neue Politikinteresse der Jugendlichen mache „Mut“, hieß es gestern beim Deutschen Kinderhilfswerk. Gestärkt werden müssten jetzt die Strukturen zur politischen Beteiligung von Jugendlichen in den Kommunen. Nur so könne das politische Engagement der jungen Menschen gesellschaftlich genutzt werden.

Wie die Shell-Studie zeigt, blicken viele junge Deutsche jedoch nicht nur auf das eigene Land – sondern auch über den nationalen Tellerrand: Die weltweiten Krisen machen der sonst so zuversichtlichen Generation Angst. Drei von vier Jugendlichen fürchten sich vor Terroranschlägen, die Angst vor einem Krieg in Europa ist gegenüber der letzten Shell-Studie von 2010 deutlich angestiegen. Deutschland, so findet die Mehrheit der Jugendlichen, sollte eine politische Führungsrolle in Europa übernehmen – aber nicht militärisch in die Konflikte eingreifen.

Auf Zuwanderer reagieren die Jugendlichen heute bemerkenswert offen: Vor wenigen Jahren noch wünschte sich die Mehrheit, dass Deutschland die Zuwanderung verringern solle. Heute fordert das nur noch jeder Dritte – gleichzeitig wächst die Zahl derjenigen, die finden, dass Deutschland sogar noch mehr Zuwanderer aufnehmen sollte.

Obwohl die Daten für die Shell Jugendstudie bereits Anfang des Jahres erhoben wurden, sind sich die Autoren sicher, dass diese optimistische Stimmung trotz der neuen Flüchtlingszahlen heute noch genauso messbar wäre: „Das ist ein stabiler, langfristiger Trend“, sagte der renommierte Soziologe und Co-Autor Klaus Hurrelmann. Familienministerin Schwesig sieht das ähnlich: In Deutschland könnten sich viele „vom Optimismus und der Zuversicht dieser jungen Leute eine Scheibe abschneiden.“

Insgesamt zeigt sich die Mehrheit der jungen Deutschen überaus weltoffen und tolerant: Es sei ein „ermutigendes Zeichen“, wenn 82 Prozent der Jugendlichen es wichtig finden, dass die Vielfalt der Menschen anerkannt und respektiert werde, so Schwesig. Diese „hohe Integrationsbereitschaft“ der jungen Leute spiele eine Schlüsselrolle für das Land: Immerhin seien es die Jugendlichen, die in den Schulen und Sportvereinen Tag für Tag mit Zuwanderern zu tun hätten.

Markante Unterschiede gibt es allerdings zwischen Ost und West: Im Osten sind die jungen Deutschen nicht nur wesentlich skeptischer mit Blick auf weitere Zuwanderung – sie lehnen Zuwanderer auch im Alltag stärker ab: Die Forscher hatten gefragt, wie sie es fänden, wenn nebenan ein türkische Familie einziehen würde. Während es im Westen 18 Prozent „nicht so gut“ fänden, sind es im Osten immerhin 30 Prozent. Bei einer Familie aus Afrika ist jeder Fünfte im Osten skeptisch, im Westen ist es nur jeder Zehnte.