Brüssel­.

Ursprünglich hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Brüssel einen angenehmen Termin: Seine Heimat steht dort dieses Jahr im Zentrum des Kulturfestivals Europalia. Die Flüchtlingskrise aber bringt es mit sich, dass Erdogan drei weitere Termine ins Programm bekam und zwar mit den Präsidenten der EU-Kommission, des EU-Parlaments und des Europäischen Rats, also mit Jean-Claude Juncker, Martin Schulz und Donald Tusk. Plötzlich muss die EU einen Nachbarn hofieren, mit dem sie zuletzt eher frostigen Umgang hatte. Denn die Umstände haben sich geändert.

Nach wie vor wagen Tausende Flüchtlinge die gefährliche Überfahrt von der Türkei nach Griechenland, um in die Europäische Union zu kommen. Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks UNHCR ist der Weg von der Türkei auf die griechischen Inseln die Hauptroute für Flüchtlinge. Bis Ende September kamen 390.000 Menschen über die Ägäis nach Griechenland.

Ratspräsident Tusk brachte es gestern auf den Punkt: „Die Situation, dass Hunderttausende über die Türkei nach Europa fliehen, muss beendet werden. Wir brauchen die türkische Seite.“

Als Erdogan im Januar 2014 in Brüssel war, ließen ihn die EU-Oberen sehr deutlich spüren, wie wenig sie von ihm und seiner Politik hielten. Zwar haben sich in der Zwischenzeit die gesellschaftlichen Verhältnisse in der Türkei nicht gebessert. Aus Erdogan ist immer noch kein Regierungschef nach den Maßstäben der EU geworden. Aber 2,2 Millionen Menschen aus Syrien und dem Irak haben jenseits der türkischen Grenze Zuflucht gefunden, Ankara hat dafür nach eigenen Angaben 6,75 Milliarden Euro aufgewendet. Die Türkei ist zur wichtigsten Pforte auf dem Weg nach Europa geworden. Die Schlepper, die das Geschäft von türkischen Häfen aus betreiben, bleiben aber unbehelligt. Nun gilt das Motto: Wir müssen reden, auch wenn es schwerfällt.

Tusk forderte: „Europa muss seine Grenzen besser managen, wir erwarten dasselbe von der Türkei!“ Erdogan dagegen erinnerte an die erheblichen Vorleistungen, die sein Land mit einer Politik der offenen Tür nun schon seit vier Jahren erbringe: „Wir haben nie Menschen in andere Länder geschickt.“ Man sei aber „für alle Arten der Zusammenarbeit auf diesem Gebiet offen“. Er forderte die EU auf, den Flüchtlingsstrom aus Syrien zu stoppen und brachte Flugverbotszonen und eine Schutzzone im Norden des Bürgerkriegslandes ins Gespräch.

Die Stimmung zwischen der EU und Erdogan ist nicht gut

Kommissionschef Juncker erläuterte dem Besucher, wie eine intensivere Zusammenarbeit aus EU-Sicht aussehen könnte. Im Rahmen eines Aktionsplans wäre die EU bereit, „beträchtliche Finanzhilfe“ zu leisten, um die Integration von Migranten in der Türkei zu fördern, vor allem durch Zugang zum Arbeitsmarkt und durch schulische Bildung für Kinder. Außerdem könne man ein Kontingent Flüchtlinge in die EU umsiedeln und die Einrichtung von sechs Auffangzentren in der Türkei unterstützen. An der türkisch-griechischen Grenze seien gemeinsame Patrouillen unter Aufsicht der EU-Agentur Frontex denkbar.

Juncker ließ nichts unversucht, den unwirsch dreinblickenden Erdogan aufzulockern. „Wir sind alte Freunde“, versicherte er. Den Türken will er nicht nur mit Geld, sondern auch bei zwei politischen Punkten entgegenkommen: zügige Aufhebung der Visumspflicht für Türken und Anerkennung des EU-Kandidaten als „sicherer Herkunftsstaat“. Darüber soll der EU-Ministerrat noch diese Woche befinden.

Juncker sagte, „die Türkei ist eine stolze Nation, wir müssen ihre Hauptanliegen ernst nehmen!“ Und tatsächlich – so viele Bemühungen honorierte Erdogan mit einem Lächeln. Entschieden schroffer verlief die Begegnung mit Parlamentspräsident Schulz, der nachher ohne den Besucher vor die Presse trat und von „einem sehr intensiven Meinungsaustausch“ berichtete – im Diplomatenjargon bedeutet das Streit.