Wolfsburg . Der Wolfsburger Sofian K. sprengte sich 2014 im Irak in die Luft. Seine Mutter spricht erstmals über ihren Sohn und seine Tat

Ihr Blick ist nicht traurig, beim Gespräch scherzt sie sogar manchmal. Dabei hat die 49 Jahre alte Frau mit dem dunklen Haar ihren Sohn verloren. Er sprengte sich im Irak in die Luft. Sofian K. war ein Selbstmordattentäter. Zum ersten Mal sprach sie mit der „Braunschweiger Zeitung“ über ihren Sohn und darüber, was sein Tod ausgelöst hat.

Vor dem Oberlandesgericht Celle findet derzeit der Prozess gegen zwei Wolfsburger Mitglieder der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) statt. Ayoub B. und Ebrahim H. B. Als beide im Mai 2014 über die Türkei in ein Terrorcamp des IS nach Syrien ausreisten, trafen sie ihren Freund, den Wolfsburger Sofian K. Rund einen Monat später tötete sich der 24-Jährige bei einem Selbstmordanschlag im Irak.

Der aktuelle Prozess bringt bei der Mutter des Attentäters alles wieder hoch. Sie könne zwar akzeptieren, dass er tot ist. Aber was ihr keine Ruhe lässt, ist die Frage nach dem Wie. Wie ist ihr Sohn zu einem Selbstmordattentäter geworden? Was hat er in Syrien erlebt? Und hat er wirklich einen Sprengstoffgürtel getragen und sich auf einer Brücke in Ramadi auf dem Weg nach Bagdad in die Luft gesprengt? Dabei soll er vier Panzer der irakischen Armee zerstört haben. Zum ersten Mal spricht die Mutter von Sofian K. über ihren Sohn.

Sie trägt eine hellblaue Bluse und ist geschminkt. Die Nachricht vom Tod ihres ältesten Sohnes, sie hat noch einen kleineren Jungen und eine ältere Tochter, überbrachte ihr ein anderer IS-Kämpfer. Es war der 7. August 2014, und sie sah auf ihrem Telefon vier Anrufe ihres Sohnes. Sofian K.s Vater, ein gebürtiger Algerier, rief zurück, es war ein Fremder in der Leitung. Der Fremde habe auf Arabisch gesagt: „Sofian ist jetzt Dschihad“ – das ist für die IS-Kämpfer die höchste Stufe.

Auf die Frage, was sie bei dem Anruf gefühlt habe, sagt die Mutter: „Die Nachricht vom Tod meines Sohnes war für mich eine Erleichterung. Die ganze Angst um ihn war auf einmal weg, weil ich nun die Gewissheit hatte, dass er tot war. Diese Angst wurde in den Wochen zuvor ja immer schlimmer. Ich muss immer daran denken, Sofian könnte gefangen genommen und gefoltert werden. Als der Anruf kam, wurde ich auf einmal ganz ruhig.“

Zwei Tage vor ihrem 48. Geburtstag am 31. Mai 2014 war Sofian K. nach Berlin gefahren, jedenfalls erzählte er es damals so. „An meinem Geburtstag habe ich seinen Anruf erwartet. Aber er meldete sich nicht. Ich dachte erst, das gibt es doch nicht, der gratuliert nicht. Ich rief ihn an und sein Handy war ausgestellt. Mein Mann und ich sind da schon nervös geworden. Am Montag bin ich schließlich in Wolfsburg zur Polizei gegangen und habe eine Vermisstenanzeige gestellt. Ich sagte gleich, ich habe den Verdacht, mein Sohn ist nach Syrien ausgereist. Da hatte ich aber noch die stille Hoffnung, Sofian könnte tatsächlich noch in Berlin sein. Dann wären wir dorthin gefahren, hätten alles auf den Kopf gestellt und wären in jede Moschee gegangen. Dann bekamen wir die Bestätigung, dass er ins Flugzeug gestiegen war.“

Als ein Zentrum radikaler Islamisten haben die niedersächsischen Behörden seit Langem Wolfsburg im Visier. Von den 60 Islamisten aus Niedersachsen, die in Richtung Syrien und Irak ausgereist sind, stammen nach Angaben des Verfassungsschutzes 20 aus dem Raum Wolfsburg. Die Ersten reisten 2013 aus. Rund 20 sind inzwischen nach Deutschland zurückgekehrt, gut zehn sind im Irak oder in Syrien gestorben. So wie Sofian K. Ihn hatte die Polizei vor seiner Ausreise nicht im Visier.

Wie schätzt seine Mutter im Nachhinein die Arbeit der Polizei ein? „Ich hatte ja vor allem mit dem Landeskriminalamt zu tun. Die Leute dort waren sehr nett zu uns.“ Bei einem Termin bei der Polizei sei einmal eine Forscherin hinzugekommen, die in Gesprächen mit Eltern von Dschihadisten nach Gründen für deren Ausreise sucht. „Sie meinte am Ende zu mir, wenn sie sich die ganze Akte von Sofian anschaue, dann könne sie nicht verstehen, warum ausgerechnet er runtergegangen ist.“ Die Frage nach dem Warum, die stelle sich Sofian K.s Mutter immer wieder. Sie habe mal mit ihm über Syrien gesprochen, als zwei andere Wolfsburger ausgereist waren. Sie wollte von ihm erfahren, was er darüber wüsste. Sofian K. habe geantwortet: „Mama, ich würde niemals nach Syrien gehen.“

Ob sie ihr Kind wirklich gekannt hat, die 49-Jährige ist sich nicht mehr sicher: „Er muss wohl zwei Gesichter gehabt haben – was ich nicht erkannt habe.“ Auch nicht, als er mehr betete als andere in seinem Alter. Er habe das schon immer sehr ernst genommen. Sie sagt: „Signale gab es eigentlich nicht.“

In seiner Jugend klaute er, später hatte er sich scheinbar wieder gefangen

Sofian K. hatte bereits in seiner Jugend mit Freunden mehrere Diebstähle begangen. Ein paar von denen gehörten auch später zu den 20, die von Wolfsburg aus nach Syrien und in den Irak gereist sind. Für die Taten saß er einen Monat lang in Untersuchungshaft. „Sein Vater war von ihm sehr enttäuscht. Das zeigte Wirkung bei ihm, und er fing sich danach.“ Er machte eine Ausbildung als Verkäufer in einem Schuhgeschäft in Braunschweig und arbeitete danach in einem Einkaufszentrum und in einem Klettergarten in Wolfsburg. Im April 2014 sei ihm dort eine Festanstellung angeboten worden, die er allerdings ausschlug. „Verstanden habe ich das damals nicht. Bei der Frage nach Gründen hat er sich herausgeredet. Vermutlich hatte sich zu dem Zeitpunkt schon die Idee in seinem Kopf verfestigt, dass er zum ‚Islamischen Staat‘ will.“

Nach seiner Abreise nach Syrien nahm Sofian K. nur schriftlichen Kontakt zu seiner Familie auf. Auf Facebook oder über SMS. Seine Schwester stellte ihn einmal zur Rede. Danach brach er den Kontakt zu ihr ab. Der Mutter empfahl er, mehr den Koran zu lesen, denn er glaubte, zwischen ihnen sei nun eine Mauer. In dieser Zeit wurde seine Mutter immer verzweifelter. Sie erreichte ihr Kind nicht mehr. Aber vermied trotzdem ganz harte Worte, damit er sich nicht auch noch von ihr zurückzog. Manchmal erkannte sie ihn kaum wieder. Wie nach einer „Gehirnwäsche“ sei das gewesen. Er schrieb: „Allah macht uns viele Wunder hier. Die Engel kämpfen mit uns und die Feinde sehen schwarze und weiße Reiter, die mit uns kämpfen.“

Die 49-Jährige hat nach Sofian K.s Tod nur noch gearbeitet. Es folgte ein Burn-out, sie verlor ihren Job. Der Vater leidet seither unter Depressionen.

Seine Mutter glaubt zwar daran, dass er tot ist, aber das Wie lässt ihr keine Ruhe. Sie sucht immer wieder im Internet nach einem Abschiedsvideo, so wie es viele IS-Kämpfer schon hinterlassen haben. Aber sie findet nichts.

Sie fragt sich: „Wurde Sofian vielleicht doch gezwungen, sich in die Luft zu sprengen? Ich werde es wohl nie erfahren, was tatsächlich passiert ist.“