Berlin. So will Deutschland den Flüchtlingsstrom steuern: Zentrale Registrierung, schnelle Verfahren und auch die Bundeswehr soll helfen

Wer auf harte Fakten aus war, klang nach dem langen Abend im Kanzleramt unzufrieden. Vieles sei doch „im Ungewissen“ geblieben, meckerte Torsten Albig, der Kieler SPD-Regierungschef. Über Gesetze und Geld will Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erst nächste Woche mit den Ministerpräsidenten reden. Am Dienstagabend übte sich die Runde in einer unverhofften Disziplin: politisch Querdenken.

Die Dinge seien „im Fluss“, wusste der Brandenburger Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) zu berichten. Gemeint waren so unkonventionelle Vorschläge wie mobile Teams, Rückkehrprämien und Verteilzentren. Die Bundeswehr würde sie aufbauen und auch managen. Jedenfalls steht das Angebot. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte „maximale Kulanz“ versprochen und Personal in Aussicht gestellt. Nun scheint es, dass ihre Logistikprofis tatsächlich abgerufen werden. Einige Ideen werden noch entwickelt, Details sind ungeklärt. Aber eine Richtung zeichnet sich ab. Was die Bundeskanzlerin vorhat – im Überblick.

Die Kraft des Faktischen hat aus dem Münchner Hauptbahnhof längst ein Verteilzentrum gemacht. Dort kommt das Gros der Menschen an und wird dann verteilt. So kann es nicht weitergehen. „Ganz simpel geht es darum, die Züge nicht alle in München ankommen zu lassen“, erläutert Woidke. Der Strom der Flüchtlinge soll künftig auf mehrere Zentren gelenkt werden. Merkel spricht von „Drehkreuzen“, die „notwendig“ seien. Als Standorte sind Berlin-Schönefeld und Fallingbostel in Niedersachsen geplant. Zusätzlich zu den Zügen der Deutschen Bahn hat die Bundeswehr 82 Busse für den Transport bereitgestellt. Künftig sollen die Neuankömmlinge in solchen Zentren einige Tage bleiben.

Sie werden aufgenommen, versorgt, registriert und nach dem etablierten „Königsteiner Schlüssel“ auf die Erstaufnahmelager in den Bundesländern verteilt. Das Fassungsvermögen solcher Drehkreuze kann man nur schätzen. 2.000 bis 3.000 Plätze pro Drehkreuz sind eine realistische Größenordnung. Faktisch läuft es darauf hinaus, dass der Bund den Ländern die Verteilung der Flüchtlinge zum Teil abnimmt. Zudem hat Innenminister Thomas de Maizière (CDU) den Ländern bis zu 40.000 Aufnahmeplätze angeboten. Der Bund würde die Liegenschaften und das Personal stellen.

Auch Wartezonen sind geplant. Wenn die Bundespolizei mit der Erstregistrierung von Flüchtlingen nicht nachkommt, also am Limit arbeitet, würden die Menschen in den Wartezonen untergebracht. Nicht zu verwechseln sind Verteil- und Wartezonen mit den vier großen Entscheidungszentren, die bereits im Juni beschlossen wurden und zum 1. Oktober ihre Arbeit aufnehmen. „Es gibt also einige Signale“, stellte Merkel fest. Aber angesichts der Flüchtlingszahlen sei vieles schon in dem Moment überholt, „in dem man die Anstrengungen unternimmt“.

Allein in diesem Jahr hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten 62.000 Bescheide erteilt. Zu 99 Prozent waren sie negativ. Es sind die klassischen Armutsflüchtlinge aus dem Westbalkan. Sie müssten abgeschoben werden. Müssten? Eine Abschiebung ist aufwendig und teuer. Zur Wahrheit gehört, dass jeder Zweite vor Gericht zieht. Das BAMF richtet zwar seine Kräfte darauf aus, die Verfahrensdauer – momentan fünf Monate – zu reduzieren. Aber wer klagt, kann nicht abgeschoben werden.

Für abgelehnte Asylbewerber soll sich die Freiwillige Rückkehr lohnen

In dieser Zeit verursachen die Menschen weiterhin Kosten und besetzen Plätze. „Es ist ganz klar“, erläutert der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), „ein nicht unerheblicher Teil der Abgelehnten wird derzeit nicht zurückgeführt und bindet Unterbringungskapazität sowie Finanzen.“ Sie sollen dazu gedrängt werden, zurückzugehen: zunächst freiwillig, „in einer zweiten Stufe mit Hilfen, gegebenenfalls auch mit Anreizen, die finanzieller Natur sein können“, so der Ministerpräsident. Im Klartext: Rückkehrprämien.

Zum Teil werden sie in den Ländern längst bezahlt. Diskutiert wurde in der Runde auch, Asylbewerbern Sozialleistungen schrittweise zu kürzen, wenn sie ihre Abschiebung verzögern. Am energischsten mahnten die Ministerpräsidenten schnellere Asylverfahren an. Es war der Punkt, über den sie am längsten mit Merkel diskutiert haben und der nach Albigs Darstellung „nicht befriedigend gelöst“ ist. Es gibt die Zusage der Länder, des Zolls und von der Bundeswehr, innerhalb der nächsten Tage Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen, allein von der Bundeswehr 800 Freiwillige. Sie sollen das BAMF unterstützen, das wiederum mobile Teams einsetzen will, um an den Brennpunkten einzuspringen. Das BAMF wickelt derzeit prioritär die Fälle von Flüchtlingen mit einer geringen Bleibeperspektive ab. Das schönt die eigene Erfolgsstatistik – es sind die klaren, schnellen Fälle – und könnte dazu beitragen, dass Kapazitäten in den Erstaufnahmelagern frei werden.

Allein die Bundeswehr stellt 20.000 Plätze für Flüchtlinge bereit, verteilt auf 46 Standorte. Sie liefert Zelte, Decken, Feldküchen und 50.000 Verpflegungspakete. Aber sie darf im Inland keine Polizeiaufgaben übernehmen. Das erlaubt das Grundgesetz nur im Verteidigungs- und Spannungsfall, bei einem inneren Notstand (wenn die freiheitliche Grundordnung in Gefahr ist) oder bei einer Naturkatastrophe.

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