Berlin .

Der zum Jahresbeginn eingeführte Mindestlohn bleibt umstritten: Bundesarbeitsministerin An­drea Nahles (SPD) lobt die Lohnuntergrenze nicht nur als „Erfolgsgeschichte“, sondern bringt jetzt sogar eine Erhöhung der Lohnuntergrenze ins Gespräch. Die Arbeitgeber beklagen dagegen Jobverluste, die sich bei schlechter Konjunktur noch verstärken würden.

Bei einer Konferenz des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) in Berlin verbreitete Nahles am Dienstag Zuversicht: Sie hoffe, dass die flächendeckende Lohnuntergrenze von derzeit 8,50 Euro zum 1. Januar 2017 angehoben werde. „Der Mindestlohn ist noch lange kein guter Lohn“, sagte die Ministerin. Gebraucht würden weitere Schritte, um allgemein und flächendeckend gute Löhne durchzusetzen.

Die SPD-Politikerin nannte keine Zahl, doch im Gewerkschaftslager gibt es bereits klare Vorstellungen: Frank Bsirske, Chef der Gewerkschaft ver.di, etwa plädiert für eine Erhöhung auf zehn Euro zum Jahresanfang 2017. Dem Gesetz zufolge soll eine Kommission alle zwei Jahre prüfen, ob der Mindestlohn der allgemeinen Einkommensentwicklung angepasst werden muss. Eine erste Empfehlung soll im Sommer kommenden Jahres für die Höhe vom 1. Januar 2017 an vorgelegt werden.

Wirtschaftsforscher raten zur Vorsicht, doch die Befürworter sehen sich durch erste Zwischenbilanzen bestätigt: „Die Horror-Stories haben sich nicht bewahrheitet“, sagte Ministerin Nahles. Der Mindestlohn sei weder Jobkiller noch Wachstumsbremse. Stattdessen habe das Gesetz „mehr Lohn, mehr Beschäftigte und mehr Gerechtigkeit“ gebracht. Die Ministerin rechnete vor: 3,7 Millionen Arbeitnehmer hätten profitiert. Der Verdienst von Ungelernten sei im Schnitt um vier Prozent, der von Angelernten um 2,8 Prozent gestiegen. Geringfügig Beschäftigte hätten fünf Prozent mehr in der Tasche.

Ähnlich wie die Ministerin erklärte auch DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell, der Mindestlohn habe keine Jobs gekostet. Er berief sich auf eine neue Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, nach der nur die Zahl der Minijobber im ersten Quartal 2015 um 200.000 Stellen zurückgegangen ist. Doch seien gleichzeitig deutlich mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze vor allem in den Niedriglohnbranchen entstanden. Preissteigerungen durch den Mindestlohn seien „kaum wahrnehmbar“, auch wenn vor allem Obst und Gemüse, das Taxifahren oder der Gaststättenbesuch teurer geworden seien.

Gesetzliche Ausnahmen für Flüchtlinge abgelehnt

Kritiker halten die Bilanz für geschönt: Die niedrige Preissteigerungsrate in diesem Jahr ist vor allem den gesunkenen Energiepreisen zu verdanken. Und die Arbeitgeberverbände warnen, der Verlust der Minijobs sei deutlich negativer zu bewerten. Es gebe keinen Beleg, dass die entfallenen Minijobs in reguläre Arbeitsplätze umgewandelt worden seien, sagte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer. Es sei zu befürchten, dass zahlreiche Jobs verloren gegangen seien. Bisher würden die Probleme durch die gute Konjunktur mit niedrigem Ölpreis überdeckt.

Ein Grund für die extrem unterschiedlichen Bewertungen: Fachleute sind sich einig, dass belastbare Daten über die Wirkung des Mindestlohns noch fehlen. Die Arbeitgeber drängen daher jetzt eher auf die Lösung praktischer Probleme: Kramer etwa kritisierte ebenso wie Wirtschaftspolitiker der Union erneut die Auflagen zur Aufzeichnung der Arbeitszeiten in ausgewählten Branchen.

Diese Verpflichtung sollte bei einem Stundenverdienst von mehr als zehn Euro entfallen, fordern die Arbeitgeber. In der Union verlangt Fraktionsvize Michael Fuchs die Abschaffung der Mindestlohn-Kontrollen in Betrieben durch den Zoll. Nahles, die die umstrittenen Dokumentationspflichten zur Jahresmitte bereits gelockert hat, verteidigte sowohl die Kon­trollen als auch die Aufzeichnung der Arbeitszeiten als „essenziell“. Nur so könnten Umgehungsstrategien bei einem Teil der Arbeitgeber aufgedeckt werden.

Forderungen, den Mindestlohn für Flüchtlinge auszusetzen, um deren Integration in den Arbeitsmarkt zu erleichtern, lehnten Nahles und der DGB ebenfalls ab. „Auch für Flüchtlinge sind 8,50 Euro das Mindeste“, sagte die Ministerin. Das Mindestlohngesetz sei gerade rechtzeitig gekommen, um eine mögliche Ausbeutung der Zuwanderer einzudämmen.