Berlin. Russland verstärkt seine Militärpräsenz in Syrien. Aus der Stärke soll neuer Einfluss erwachsen

Ein russischer Präsident redet nicht jedes Jahr vor den Vereinten Nationen. Die Bühne überlässt er meist seinem Außenminister. Aber Ende September ist es so weit am East River: Vorhang auf für Wladimir Putin.

Die verstärkte militärische Präsenz in Syrien – nach inoffiziellen Informationen rund 100 Flüge mit Waffen und Soldaten allein seit dem 3. September – ist das Vorspiel zu Putins Auftritt. Russland zeigt Stärke, das ist generell ein Merkmal von Putins Außenpolitik.

Er sondiert dem Vernehmen nach die Chancen auf ein Treffen mit US-Präsident Barack Obama am Rande der Vollversammlung. Obama betrachtet den Mann aus Moskau als Gernegroß, als Vertreter einer „Regionalmacht“, wie er einmal sagte. Eine Kränkung. Umso größer wäre die Genugtuung für den russischen Präsidenten, wenn er Augenhöhe erreicht. Nach dieser Lesart wäre der Syrien-Krieg eine Rampe.

Der russische Präsident vertritt eine eigene Agenda gegen den IS

Für einen Außenpolitiker wie Rolf Mützenich von der SPD besteht die neue Qualität darin, „dass Putin seine eigene Agenda gegen den IS vertritt“, wie er der Berliner Morgenpost sagte. Es ist die gängigste, sachlichste, auch die beruhigendste Erklärung für den Aufmarsch in Syrien. Böse Vorahnungen rufen hingegen die Parallelen zur Besetzung der Krim hervor, die lange geleugnet und verschleiert wurde, bis Russland Fakten geschaffen hatte.

Im Westen wird über Putins Motive gerätselt. Was treibt er in Syrien? Oder anders: Was treibt ihn um? Es kann nicht die militärische Lage sein. Denn es zeichnet sich keine Trendwende ab. Das Regime in Damaskus steht nicht vor seiner Ablösung. Ebenso wenig haben sich die Spekulationen über eine Exillösung für Präsident Baschar al-Assad verdichtet. „Russland hat nie ein Geheimnis aus seiner militärtechnischen Kooperation mit Syrien gemacht“, erklärte in Moskau die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Zakharov. „Das ist nicht neu“, räumt SPD-Außenpolitiker Mützenich ein. Syrien bezieht seit Jahrzehnten Waffen aus Moskau. Die russische Armee unterhält in Tartus ihre einzige Marinebasis im Mittelmeer. Russische Ausbilder und Spezialkräfte sind vor Ort.

Gleichwohl fällt die aktuelle Rüstungshilfe aus dem Rahmen. Von Granatwerfern und gepanzerten Fahrzeugen weiß die Moskauer Zeitung „Kommersant“, über Kampfflugzeuge und Hubschrauber berichtet das israelische Blatt „Haaretz“ nach einem Briefing des Verteidigungsministeriums.

Für Russland sind Assads Regierungskräfte nicht Teil des Problems, sondern der Lösung; sie trügen „die Hauptlast“ im Kampf gegen das Terrornetzwerk „Islamischer Staat“ (IS). Russland sieht die Regierungsarmee Syriens als „einzige organisierte aktive Kraft“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax.

Auf dem Spiel stehen nicht nur eine strategische Partnerschaft und eine russische Einflussphäre. Vielmehr geht es auch darum, den IS aufzuhalten, bevor er im Kaukasus eindringt und für Russland selbst zur Bedrohung wird.

Russland zeigt Stärke und will sich als Ordnungsmacht Respekt verschaffen. Für Außenminister Sergej Lawrow geht es darum, „ein libysches Szenario“ zu verhindern. Ein Seitenhieb. In Libyen hat der Westen den Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi 2011 herbeigeführt, aber ein Machtvakuum hinterlassen. Seither kommt das Land nicht zur Ruhe und ist – neben Syrien – das Schwungrad des Flüchtlingsstroms.

Im Weißen Haus wächst die Sorge über ein mögliches direktes Eingreifen Russlands im Bürgerkriegsland Syrien. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist alarmiert. „Ich bin besorgt über Berichte über eine verstärkte russische Militärpräsenz in Syrien“, sagte er in Prag und fügte hinzu, „das wird keinen Beitrag zur Lösung der Krise bringen“. Auch der französische Außenminister Laurent Fabius mahnte, die russische Militärpräsenz in Syrien erschwere die Suche nach einer politischen Lösung.

Vertrackt ist die Lage, weil es keine militärische Lösung gibt, die zu einem Sieg der Rebellen oder dem Assad-Regime führen könnte; und weil zugleich jede Hilfe im Kampf gegen den IS willkommen ist, auch von Assad.

Die Regierung in London bereitet eine neue Friedensiniative für Syrien vor

Der britische Außenminister Philip Hammond betont allerdings, dass weder Großbritannien noch seine Verbündeten einer Lösung zustimmen könnten, die Assad weiter an der Macht halte. Derselbe Hammond stellte soeben klar: „Wir sagen nicht, dass Assad und alle seine Gefolgsleute am Tag eins gehen müssen.“ Man müsse „pragmatisch“ vorgehen. Nach seiner Einschätzung gibt es keine Anzeichen dafür, dass Russland oder der Iran ihre Unterstützung für das Assad-Regime bald aufgeben könnten. Nach Angaben der Zeitung „The Guardian“ arbeitet Großbritannien an einer Syrien-Friedensinitiative. Diese sehe eine auf sechs Monate befristete „Regierung der nationalen Einheit“ vor. In der Zeit solle Assad im Amt bleiben dürfen, während sein Sicherheitsapparat abgebaut wird.