Berlin.

Sie stammt aus Thüringen und beobachtet genau, wie die vielen Flüchtlinge in Ost und West aufgenommen werden. Im Interview mit dem Hamburger Abendblatt formuliert Katrin Göring-Eckardt ihre Erwartungen an die Bundesregierung - und an die Bürger.

Hamburger Abendblatt: Frau Göring-Eckardt, hat der deutsche Osten ein besonderes Problem mit Fremdenfeindlichkeit?

Katrin Göring-Eckardt: Die Hälfte der rassistisch motivierten Straftaten werden im Osten begangen, obwohl dort deutlich weniger Menschen leben als im Westen. Darüber kann man nicht hinwegreden. Auf der anderen Seite sollten wir auch nicht verschweigen, dass Flüchtlingsunterkünfte in ganz Deutschland brennen. Es wäre hochgefährlich, von einem reinen Problem des Ostens zu sprechen.

Was geht in Ihnen vor, wenn der Bundespräsident von Dunkeldeutschland spricht?

Ich würde den Begriff so nicht verwenden. Trotzdem finde ich es richtig, dass Bundespräsident Gauck die Herausforderung klar benennt. Ich bin auch sehr froh, dass Kanzlerin Merkel jetzt klare Worte gefunden hat. Es kommt darauf an, dass man Haltung zeigt. Damit hat die sächsische Landesregierung zu lange gewartet. Sie hat der Pegida-Bewegung zugeschaut und mit ihr gekuschelt. Das hat natürlich Auswirkungen. Dann kommen Leute auf die Idee, dass sie sich fremdenfeindliche Parolen leisten können.

Welche Rolle spielen Neonazi-Gruppen und die NPD bei den Protesten?

Innenminister de Maizière muss dringend klären, ob die Angriffe auf Flüchtlinge organisiert sind und ob es sich um Rechtsterrorismus handelt. Wir haben mit den NSU-Morden eine Erfahrung gemacht, die sich nicht wiederholen darf. Mich irritiert, dass im Innenausschuss des Bundestages zu möglichen Hintermännern der fremdenfeindlichen Übergriffe überhaupt keine Informationen vom Innenministerium zu bekommen sind.

Hilft es, die NPD zu verbieten?

Das Gedankengut der NPD schafft man mit einem Verbot nicht aus der Welt. Ebenso wenig verhindert man rassistische Ausschreitungen. Jetzt, wo das Verfahren läuft, wäre es schlimm, wenn es scheitert. Das würde der NPD neuen Auftrieb geben. Aber die Gefahr besteht leider.

Wie viele Flüchtlinge kann Deutschland verkraften? Eine Million im Jahr?

Ich war im Libanon. Da ist jeder vierte Einwohner ein Flüchtling. Und der Libanon ist ein Land, dem es lange nicht so gut geht wie uns. Wir müssen jetzt schauen, dass wir die Flüchtlinge, die Recht auf Asyl haben, gut unterbringen. Und über ein modernes Einwanderungsgesetz müssen wir bei der Einwanderung die Wünsche der Menschen und die Bedürfnisse in unserem Land zusammenbringen.

Sind die Bürger aufgerufen, Flüchtlinge bei sich zu Hause aufzunehmen?

Absolut. Ich kenne auch viele Leute, die bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen. Wenn Menschen, die aus Syrien kommen, in Privathäusern aufgenommen werden, ist das Gold wert für die Inte-gration. Wir sollten dieses Potenzial viel mehr nutzen als bisher – und dafür die nötigen Organisationsstrukturen schaffen. Viele Menschen haben Einliegerwohnungen, in die einmal die Kinder einziehen sollen, die aber noch irgendwo in der Welt unterwegs sind. Warum sollten sie keine Flüchtlinge aufnehmen? Es gibt Wohngemeinschaften, die noch Zimmer frei haben. Auch Ferienwohnungen, die bisher über AirBnB vermietet werden, könnten Flüchtlingen überlassen werden. Ich bin froh, dass die Hilfsbereitschaft der Deutschen so groß ist.

Welche konkreten Schritte erwarten Sie jetzt von der Bundesregierung?

Das alles Entscheidende ist, die Kapazität für die Bearbeitung von Asylanträgen zu vergrößern. Es ist ein politisches Komplettversagen von Herrn de Maizière, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das ihm unterstellt ist, einen Berg von über 200.000 unbearbeiteten Asylanträgen aufgetürmt hat. Wenigstens hätte er die 1000 zusätzlichen Stellen im Bundesamt, die bereits im Frühjahr für dieses Jahr beschlossen worden sind, rechtzeitig besetzen müssen. Der Innenminister hätte gleich bei der Bundeswehr anfragen oder nachgeordnete Behörden beteiligen müssen. Herrn de Maizière scheint nicht klar zu sein, in welcher Situation wir sind. Es ist unzumutbar, dass Asylbewerber nach einem Jahr immer noch nicht wissen, was aus ihnen wird. Zwei weitere Punkte halte ich für wichtig…

… nämlich?

Die Kommunen brauchen mehr Geld für die Erstaufnahme der Flüchtlinge – am besten direkt vom Bund. Man kann dabei über eine Aufhebung des Kooperationverbotes im Grundgesetz mit uns reden. Außerdem ist die Kanzlerin im Wort, endlich die Gesundheitskarte für Asylbewerber einzuführen.

Die Bundeskanzlerin will die Herausforderungen ohne Steuererhöhungen und ohne neue Schulden meistern. Ist das zu schaffen?

Frau Merkel gibt ein Versprechen, von dem sie selbst nicht weiß, ob sie es halten kann. Im Moment haben wir Steuermehreinnahmen. Dass wir die Belastung nächstes Jahr noch schultern können, bezweifle ich. Zweckgebundene Steuererhöhungen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise sind nicht möglich. Aber das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts muss sich der nationalen Aufgabe unterordnen, die Flüchtlingskrise zu bewältigen.

An diesem Wochenende haben die Grünen festgelegt, ihre beiden Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2017 in einer Urwahl zu bestimmen. Bisher hat nur Robert Habeck aus Schleswig-Holstein sein Interesse an einer Kandidatur bekundet. Was ist mit Ihnen?

Sie können aus meiner Funktion und meinem Engagement ableiten, dass ich mich ganz intensiv auf die Bundestagswahl vorbereite. Ich hoffe sehr, dass wir erfolgreich sein werden, und ich werde ganz gewiss auch alles dazu beitragen, was ich dazu beitragen kann.

Soll heißen, Sie kandidieren, wenn die Partei das wünscht.

Wie gesagt: Ich werde alles, was ich kann, zum Erfolg der Grünen beitragen.