Berlin .

Sie sind Ingenieure, Apotheker oder IT-Spezialisten: Flüchtlinge aus Syrien sind oft hoch qualifiziert, ihre Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt gut. Solche Asylbewerber hat die Wirtschaft im Blick, wenn sie von dem großen Potenzial der Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt schwärmt. Doch jetzt weicht die erste Euphorie der Ernüchterung – bei Unternehmen wie in der Bundesregierung: Die Herausforderung, Hunderttausende Flücht­linge in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ist größer als angenommen.

Um die Chancen der Zuwanderung zu nutzen, muss der Staat zunächst Milliarden in Qualifizierung und Eingliederung der Asylbewerber investieren – und dennoch auch Milliardenbeträge zusätzlich für die Arbeitslosenhilfe einplanen. „Bei Weitem nicht alle arbeitsfähigen Flüchtlinge sind ausgebildete Fachkräfte“, mahnt Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Der Präsident der Deutschen Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), Ingo Kramer, sagt: „Die Beschäftigung von Flüchtlingen ist kein Selbstläufer, sondern auch für engagierte Unternehmen eine extrem schwierige Aufgabe.“

Und auch das Handwerk, das besonders engagiert junge Flüchtlinge für Lehrberufe umwirbt, sieht in der Beschäftigung von Asylbewerbern inzwischen nur einen „kleinen Mosaikstein“, um freie Ausbildungsplätze zu besetzen. In Regierungskreisen wird die Größe der Aufgabe inzwischen offen benannt: Der syrische Arzt mit guten Deutschkenntnissen sei keineswegs der Normalfall, heißt es. Die wenigsten derjenigen, die jetzt kämen, hätten verwertbare Abschlüsse. „Sie können was, benötigen aber neue Qualifikationen.“

Experten berichten, das habe auch damit zu tun, dass Schleuser inzwischen ihre Preise gesenkt hätten – in Syrien etwa hätten sich anfangs nur wohlhabendere Familien die Fluchthilfe in die EU leisten können, das habe sich geändert.

Genaue Kenntnisse über die Qualifikationen haben die Behörden nicht, systematisch wird bei den Asylbewerbern nicht nachgefragt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kam bei einer freiwilligen Erhebung 2014 auf einen Anteil von 15 Prozent Akademikern, 50 bis 60 Prozent der Asylbewerber hatten keine abgeschlossene Qualifikation.

Grund für Schwarzmalerei ist das nicht. Arbeitsministerin Nahles betont: „Wir werden von der Solidarität mit den Flüchtlingen selbst etwas haben. Denn wir sind auf Zuwanderung angewiesen.“ Die Flüchtlinge seien „voller Leistungs- und Tatendrang“. Doch um den zu nutzen, werden Politik und Wirtschaft große Anstrengungen unternehmen müssen. Nahles rechnet für ihr Ressort mit bis zu drei Milliarden Euro Extraausgaben allein 2016. Die Probleme fangen schon zu Beginn der Asylverfahren an: Die Qualifikationen der Flüchtlinge werden nicht ausreichend abgefragt. Die Bundesagentur für Arbeit will erst jetzt flächendeckend damit beginnen, in Erstaufnahmestellen den Ausbildungsstand zu erfassen. Aber dafür braucht die Behörde mehr Personal. Von bis zu 1000 Stellen ist die Rede, auch für die bessere Unterstützung bei der Jobsuche.

Problem Nummer zwei: Die Flüchtlinge werden nicht schnell genug geschult, es mangelt vor allem an intensiven Sprachkursen. Mitunter werden erst Kurse angeboten, wenn über den Asylantrag entschieden ist. Die lange Verfahrensdauer sei das Haupthindernis für die Arbeitsaufnahme, heißt es in einer Studie der Bertelsmann Stiftung. Die großen Wirtschaftsverbände fordern, auch andere Hürden zu senken: Der unsichere Aufenthalt von nur geduldeten Flüchtlingen erschwert es, etwa einen Ausbildungsplatz zu finden. Und Asylbewerber dürfen zwar nach drei Monaten arbeiten – aber ohne Ausbildung oder Studium in einem Engpassberuf gilt das in den ersten 15 Monaten nur dann, wenn kein arbeitssuchender Deutscher oder EU-Bürger infrage kommt. Diese Vorrangprüfung könne vereinfacht werden, heißt es in der Regierung.

Der Druck ist groß: „Ziel muss es sein, die zu uns kommenden Menschen in ordentliche Arbeit zu vermitteln“, sagt Nahles. Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme werde nicht durch Grenzzäune verhindert, sondern dadurch, dass aus Flüchtlingen schnell Steuer- und Beitragszahler würden.