Berlin.

Es ist die schwierigste Frage, die die SPD in den nächsten Monaten zu diskutieren hat: Welcher Sozialdemokrat soll bei der Bundestagswahl 2017 als Kanzlerkandidat antreten, aller Voraussicht nach als Herausforderer von Regierungschefin Angela Merkel? Das Hamburger Abendblatt hat dazu in einer repräsentativen Umfrage die Meinung der Bundesbürger ermitteln lassen – mit einem überraschend klaren Ergebnis.

Eindeutiger Favorit ist demnach Außenminister Frank-Walter Steinmeier, wie die Befragung durch das Meinungsforschungsinstitut Emnid ergab. 51 Prozent der Deutschen trauen ihm das Amt des Bundeskanzlers zu – obwohl der Außenminister 2009 als Kanzlerkandidat gegen Merkel nur 23 Prozent der Stimmen holte und damit das schlechteste Ergebnis für die SPD seit 1945 einfuhr. Steinmeier liegt nun auch deutlich vor Parteichef Gabriel, der mit 34 Prozent auf Platz zwei landet. Ein Dämpfer für den Vizekanzler, dessen Bewerbung als Merkel-Herausforderer viele SPD-Spitzenleute eigentlich fest erwarten.

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft erreicht den dritten Rang mit 28 Prozent, dahinter rangiert Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz mit 14 Prozent. Geringere Unterstützung erfahren Arbeitsministerin Andrea Nahles (neun Prozent) und Familienministerin Manuela Schwesig (sechs Prozent). 19 Prozent der Bürger geben an, dass sie keinem der sechs genannten SPD-Politiker zutrauen, Kanzler zu werden.

Außenminister wird auch alsmöglicher Bundespräsident gehandelt

Kraft kann mit dem Ergebnis zufrieden sein: Unter SPD-Anhängern schneidet die Parteivize mit 52 Prozent genauso ab wie Gabriel – obwohl die Ministerpräsidentin bereits erklärt hat, sie werde „nie, nie“ Kanzlerkandidatin sein. Steinmeier liegt auch im sozialdemokratischen Lager mit 70 Prozent vorn. Nahles kommt mit 24 Prozent auf den vierten Rang, gefolgt von Scholz (21 Prozent) und Schwesig (elf Prozent). Unter Anhängern der Grünen, dem favorisierten Koalitionspartner der SPD, steht Kraft besonders hoch im Kurs. Knapp hinter Steinmeier (56 Prozent) und klar vor Gabriel (39 Prozent) liegt die NRW-Ministerpräsidentin, die in Düsseldorf mit den Grünen regiert, mit 55 Prozent auf Platz zwei. Scholz erreicht 22, Nahles 13 und Schwesig sechs Prozent. Beim aktuellen Koalitionspartner im Bund, der CDU/CSU, wird ebenfalls Steinmeier am meisten geschätzt. Gabriel und Kraft liegen auf den Plätzen zwei und drei, Scholz landet auf dem vierten Rang. Nahles (sechs Prozent) und Schwesig (fünf Prozent) sind im Unionslager abgeschlagen. Für die Sozialdemokraten und Steinmeier persönlich ist das Ergebnis heikel: Der 59-Jährige dürfte sich schwer damit tun, noch einmal gegen Merkel anzutreten. Die Niederlage von 2009 hat ihn tief verletzt. Vor der Bundestagswahl 2013 überlegte Steinmeier lange, ob er sich eine Revanche gegen Merkel zutraut. Er sagte ab, aus persönlichen Gründen, aber auch, weil ihm eine Bewerbung mit dem eigenwilligen Parteichef Gabriel an der Seite als zu riskant erschien.

Ob sich Steinmeier diesmal doch noch überreden lässt? Eigentlich gibt es längst einen anderen Plan für den beliebten Genossen: Sollte Joachim Gauck 2017 nicht mehr für eine zweite Amtsperiode als Bundespräsident zur Verfügung stehen, wofür einiges spricht, wäre Steinmeier jetzt aus Sicht führender SPD-Politiker der geborene Kandidat für das erste Amt im Staat.

Parteichef Gabriel kann mit dem Umfrageergebnis leben: Dass ihm nur jeder dritte Wähler zutraut, Regierungschef zu werden, ist einerseits alles andere als ein Vertrauensbeweis. Aber falls Steinmeier nicht zur Verfügung steht, läuft nun auch nach Meinung der Bürger alles auf Gabriel zu: Seine innerparteilichen Kritiker, die sich in den letzten Monaten zu Wort meldeten, müssten zur Kenntnis nehmen, dass andere Bewerber derzeit noch schlechter dastünden als Gabriel.

Beunruhigen dürfte das die SPD-Frauen nicht: Die Chancen, die Kanzlerin bei der Bundestagswahl aus dem Amt zu jagen, sind auch nach Einschätzung führender Sozialdemokraten gering. Die Hoffnung, die Kanzlerin werde 2017 nicht mehr antreten, hat die SPD-Spitze aufgegeben. Die öffentliche Zurückhaltung potenzieller Bewerber zeigt, wie die Umfrage belegt, längst auch bei den Bürgern Wirkung: Scholz etwa hat erkennbar so wenig Interesse an einer Bewerbung 2017, dass er von den Wählern derzeit kaum noch als möglicher Kandidat wahrgenommen wird. Auffallend ist, dass der Rückhalt für SPD-Spitzenpolitiker in Ostdeutschland geringer ausgeprägt ist: Dort trauen beachtliche 28 Prozent keinem der genannten Sozialdemokraten zu, die Bundesregierung zu führen – im Vergleich zu 17 Prozent im Westen. Als einzige Sozialdemokratin schneidet Nahles im Osten (14 Prozent) besser ab als im Westen (acht Prozent).

Noch mag Gabriel hoffen, dass sich trotzdem ein prominenter Parteikollege für den Kampf gegen Merkel zur Verfügung stellt. Führende Genossen drängen Gabriel aber, er müsse 2017 selbst antreten – ein Parteivorsitzender dürfe sich nicht ein zweites Mal drücken. Nachdem ihm bei der Wahl vor zwei Jahren Peer Steinbrück die Last abgenommen hatte

Die Frage ist allerdings, ob Gabriel Parteichef bleiben könnte, wenn auch er eine deutliche Niederlage gegen Merkel einfährt. Selbstverständlich, wird in seinem Umfeld versichert. Gabriel könne 2021 erneut antreten, vielleicht gegen eine CDU-Kandidatin Ursula von der Leyen; Merkel dürfte dann kaum noch einmal in den Wahlkampf ziehen, die Chancen für die SPD würden also wieder besser stehen. Doch ob ein solches Kalkül aufgeht, ist offen. Spitzengenossen sind sich sicher, dass sich für 2021 auch drei andere SPD-Politiker für den Kampf ums Kanzleramt bereithalten: Kraft, Nahles und Scholz.