Hannover. Der Anschlag auf eine Asylunterkunft in Niedersachsen zeigt: Nicht nur im Osten wächst der Hass

Das Weserbergland ist Provinz im besten Sinne des Wortes. Wer in dem 10.000-Einwohnerort Salzhemmendorf als Flüchtling ankam, wurde auch angenommen. Um so fassungsloser stehen Anwohner und Politiker vor den Trümmern des sicher geglaubten Idylls: Ausgerechnet hier hat in der Nacht zum Freitag ein bislang Unbekannter einen Molotow-Cocktail in eine Wohnung im Erdgeschoss geworfen. Wie durch ein Wunder blieben die dort wohnende Mutter und ihre drei Kindern körperlich unverletzt.

25 Vorfälle hat die niedersächsische Polizei in diesem Jahr bereits registriert im Umfeld von Asylbewerberunterkünften, im ganzen Vorjahr waren es nur neun. Zumeist handelte es sich um Sachbeschädigungen und Schmierereien, keine schweren Straftaten. Und jetzt das. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) eilte noch am Vormittag in den Ort und brachte die neue Qualität des Ausländerhasses auf den Punkt: „Um es klar zu sagen, das war versuchter Mord.“

Die Polizei hat eine Sonderkommission gebildet, aber auch die leitenden Polizeibeamten sind erst einmal ratlos: Es gibt in der Region keine rechtsextremistische Szene wie in anderen Landesteilen, dafür zahlreiche ehrenamtliche Helfer, jede Menge Zuwendung und Sachspenden für die Flüchtlinge. Hemmendorfs parteiloser Bürgermeister Clemens Pommerening ist noch am Mittag die Empörung über den Anschlag anzumerken: „Bei uns wird doch Willkommenskultur gelebt, die Menschen hier geben sich erkennbar große Mühe.“ Tjark Bartels, Landrat von Hameln-Pyrmont, bat bei der Pressekonferenz mit Polizei und Staatsanwaltschaft alle Bürger der Region, noch am späten Freitagnachmittag zu einer Kundgebung nach Salzhemmendorf zu kommen: „Wir brauchen jetzt ein starkes Signal, dass Menschen aus fremden Ländern hier jetzt erst recht willkommen sind.“ Wer an diesem Nachmittag mit den Bussen im Landkreis oder der S-Bahn aus Hannover nach Hameln kommt, kann dies laut Landrat tun, ohne eine Fahrtkarte kaufen zu müssen. Das gilt natürlich auch für die Rückfahrt.

Landesbischof Ralf Meister forderte am Mittag die Salzhemmendorfer auf, „sich nicht beirren zu lassen in ihrem Engagement“. Landesregierung, Landtagsfraktionen, Landesparteien, alle drücken Unverständnis für die Tat und Mitgefühl für die Betroffenen aus. Ministerpräsident Weil hat die 34-jährige Mutter der vier, acht und elf Jahre alten Kinder getroffen, sich von ihr den Ablauf schildern lassen. Die vierköpfige Familie ist inzwischen in einem anderen Haus untergebracht. Die anderen knapp 40 Bewohner konnten in der ehemaligen Schule bleiben, die Feuerwehr hatte den Brand schnell unter Kontrolle. Am Mittag kommt ein Mann aus dem Nachbarort, er hat ein großes Blech mit Kuchen für die geschockten Bewohner des Heims dabei.

Der Ablauf aus der Sicht der Polizei: Gegen zwei Uhr in der Nacht meldet sich bei der Polizei in Hameln ein Mann, der gerade beobachtet, wie der Molotow-Cocktail die Fensterscheiben zerschlägt und in dem Zimmer brennt. Danach flüchtet der Täter mit einem Auto. Stellen kann ihn die Polizei nicht mehr, obwohl alle verfügbaren Einsatzkräfte in der Region unterwegs sind. Die 30-köpfige Sonderkommission sucht nach weiteren Zeugen. „Wir arbeiten mit der Bevölkerung zusammen“, versichert der Leiter der Polizeiinspektion in Hameln. Und weil das Weserbergland so schön ist, aber eben auch so dünn besiedelt, mit weiten Wegen für die Polizei, ruft er die Menschen auf, auch aufzupassen.