Wien/Berlin. Flüchtlingstragödie erschüttert Westbalkankonferenz. Kampf gegen kriminelle Schlepperbanden soll intensiviert werden

Als in der feinen Wiener Hofburg gerade die Regierungschefs auf der Westbalkankonferenz die Gespräche über die Flüchtlingskrise beginnen, macht etwa 50 Kilometer entfernt im Burgenland ein Polizist eine grausame Entdeckung. Aus einem in einer Parkbucht abgestellten Lastwagen tropft Verwesungsflüssigkeit auf die Autobahn. In seinem Inneren findet die Polizei tote Flüchtlinge. Eine Bergung der Toten noch an der Autobahn sei nicht möglich, sagt Helmut Marban, Sprecher der Landespolizeidirektion Burgenland. Das Fahrzeug mit einem Überführungskennzeichen des ungarischen Zolls sollte daher für die erforderlichen gerichtsmedizinischen Untersuchungen an einen anderen Ort geschleppt werden.

Auch deshalb könne vorerst noch nicht genau ermittelt werden, wie viele Leichen sich in dem Lkw befinden und auf welche Weise die Menschen ums Leben kamen. Als wahrscheinlich gilt, dass sie erstickt sind. Der Polizeidirektor des Burgenlandes, Hans Peter Doskozil, hatte zuvor bei einer Pressekonferenz von „mindestens 20 oder auch 40 bis 50 Toten“ gesprochen.

Die Staatsanwaltschaft nahm inzwischen nach eigenen Angaben Kontakt zu den ungarischen Strafverfolgungsbehörden auf. „Wir werden nichts unversucht lassen, den Fahrer und seine Hintermänner auszuforschen und das Verbrechen aufzuklären“, versichert der leitende Staatsanwalt Johann Fuchs. Nach bisherigen Erkenntnissen der Polizei wurde der Kühllastwagen vermutlich bereits am Mittwoch auf dem Pannenstreifen am Autobahnabschnitt bei Parndorf (Bezirk Neusiedl am See) abgestellt.

Angesichts der starken Auswirkungen der Flüchtlingskrise auf die Region rückt das Thema auch ganz oben auf die Agenda der Westbalkankonferenz – eigentlich war diese ins Leben gerufen worden, um Länder wie Serbien, Albanien, das Kosovo oder Bosnien näher an die Europäische Union zu rücken.

Noch vor Bekanntwerden des Leichenfunds hatte Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) zur Eröffnung der eintägigen Konferenz ein schärferes Vorgehen gegen Schlepper gefordert. Nach dem Bekanntwerden sieht er sich darin bestätigt. „Das zeigt einmal mehr, wie notwendig es ist, Menschenleben zu retten, indem Kriminalität und das Schlepperwesen bekämpft werden“, sagt Faymann. Seine Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sagt, Österreich werde nun mit Null-Toleranz-Politik gegen Schlepper vorgehen – und alle anderen EU-Mitglieder sollten diesem Vorbild folgen.

Doch von einer gemeinsamen Linie in der europäischen Flüchtlingspolitik ist derzeit nichts zu spüren. Weder beim Vorgehen gegen Schlepper, erst recht nicht bei der Aufnahme der Flüchtlinge. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) mahnt in Wien, wenn in Europa nicht eine „faire Verteilung“ der Flüchtlinge gelinge, drohe dies die Akzeptanz der Bevölkerung in den Ländern zu zerstören, die derzeit den Großteil aufnähmen.

Deutschland steht da von den reinen Zahlen vorne, doch Österreich etwa leistet gemessen an seiner eigenen Bevölkerung einen noch größeren Anteil. Auch Österreichs Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) fordert nun eine gemeinsame EU-Lösung, da ansonsten ein Auseinanderdriften der EU in diesem wichtigen Thema drohe. „Wenn es uns nicht gelingt, eine europäische Antwort zu geben, werden immer mehr Staaten versuchen, diese Krise alleine zu lösen.“ Die nicht zur EU gehörenden Westbalkanstaaten nervt die fehlende Einigkeit zunehmend. Serbiens Außenminister Ivica Dacic klagte, von den Transitländern wie seinem Land werde ein Aktionsplan erwartet. Dies sei aber ein Problem der EU – deshalb müsse diese zuerst einen Plan vorlegen.

Hohe Gewinnspannen und einüberschaubares Risiko locken

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich in Wien dennoch zuversichtlich, dass die EU die Flüchtlingskrise in den Griff bekommt. Die Tragödie vom Donnerstag sieht sie als Mahnung, nun mit mehr Nachdruck eine Lösung zu suchen. „Das mahnt uns, das Thema der Migration schnell und im europäischen Geist, das heißt im Geist der Solidarität, anzugehen und auch Lösungen zu finden.“

Und auch das kriminelle Schleusermilieu rückt in den Mittelpunkt. Hohe Gewinnspannen und ein überschaubares Risiko locken. Von den türkischen Hafenstädten wie Izmir setzen Zehntausende Flüchtlinge auf die in Blickweite liegenden griechischen Inseln mit klapprigen Booten oder Schlauchbooten über. Für die oft nur eineinhalbstündige Passage müssen pro Person wenigstens 1000, nicht selten 1500 Dollar an Schleuser gezahlt werden. Schlepper lassen sich auch den Grenzübertritt zwischen Mazedonien und Serbien fürstlich bezahlen. Die Reise nach Nordserbien und die Überquerung der ungarischen Grenze ist ebenfalls teuer. Österreich und das bayerische Grenzgebiet um Passau sind weitere Dreh- und Angelpunkte.

Da Flüchtlinge und Schlepper eisern schweigen, gibt es keine gesicherten Zahlen über das Ausmaß der Schlepperszene. In Österreich saßen am 1. Juli 198 Schleuser in Haft. Einen Monat später waren es schon 298, berichtete die österreichische Nachrichtenagentur APA unter Berufung auf das Justizministerium. In Bayern flogen im ersten Halbjahr 1300 Fälle auf. Das war schätzungsweise die Hälfte aller einschlägigen kriminellen Taten bundesweit. Im Passauer Untersuchungsgefängnis fehlt bereits Platz: Die Zahl der U-Häftlinge übersteigt die Zahl der Haftplätze um fast das Fünffache. Die erwischten Schleuser sind nur die Spitze des Eisbergs. Die meisten Machenschaften bleiben unentdeckt .