Jena. Nach einem Sommer des Missvergnügens zeigt sich der Vizekanzler jetzt entschlossen und selbstgewiss– als Wirtschaftsminister und als Parteichef

Gleich könnte Sigmar Gabriel an die Decke gehen. Der Wirtschaftsminister blickt zunehmend düster, während ihn ein junger Mann wegen der neuen Reformauflagen für Griechenland beschimpft: „Sie richten Europa zugrunde“, ruft der Lockenkopf empört in den Saal, „Sie mit Ihrer Politik verbauen Griechenlands Zukunft.“ Eine ungewöhnliche Tirade beim Bürgerdialog in Jena, wo rund 70 Teilnehmer auf Einladung der Bundesregierung mit Gabriel diskutieren sollen.

Es gab Zeiten, da reagierte der Minister und SPD-Chef auf so rabiate Kritik auch mal sehr ungehalten. Nun geht er durch den Saal auf den Wutredner zu und lässt ihn milde auflaufen: „Ich war auch mal 20 Jahre alt und wusste, wie man eine Veranstaltung aufmischt.“ Es sei doch gut, dass es das auch noch unter den Jüngeren gebe. Geduldig erklärt der 55-Jährige dann die Griechenlandhilfen und rät, „nicht alles schwarz-weiß zu betrachten“. Selbst als ihn später ein älterer Mann als „Arbeiterverräter“ beschimpft, weist der Minister die Attacke bestimmt, aber doch höflich zurück. Gabriel, der Gelassene.

Auf einer Sommerreise durch Ostdeutschland demonstriert der Minister und SPD-Chef diese Woche eine erstaunliche Ruhe und Zuversicht. Wirtschaftskrise nach dem Börsencrash wegen China? Nach einem Besuch bei einem Optik-Forschungsinstitut erklärt er, Sorgen wegen China seien zwar berechtigt, aber die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands werde nicht beeinträchtigt. Europa werde attraktiver für Investitionen. „Wir werden die gute wirtschaftliche Entwicklung fortsetzen.“

Für den Wirtschaftsminister gehört Optimismus zu den Amtspflichten, aber Gabriel überträgt diese Tugend nun auch auf seine Politik insgesamt – vor allem auf seine SPD. Er werde als Parteichef trotz aller Kritik Kurs halten, versichert er, „wir machen geradlinige Politik“. Dabei waren die vergangenen Monate für ihn derart holprig, dass empfindsamere Gemüter in Panik geraten wären. In der SPD machte sich allerhand Unmut breit – erst über die anhaltend schlechten Umfragewerte der SPD im Bund, dann über Alleingänge des Parteivorsitzenden. Die Kritik kulminierte in einer bizarren Sommerloch-Debatte, ob die SPD überhaupt einen Kanzlerkandidaten aufstellen solle. Und seine eigentlich gute Bilanz als Wirtschaftsminister trübte auch eine durch eigene Fehler provozierte Niederlage bei der Klima-Abgabe für alte Kohlekraftwerke. Noch im Frühsommer wirkte Gabriel nervös; ungeduldig versuchte er, mit immer neuen Themen aus der Defensive zu kommen. Doch das scheint vorbei. Bei seiner Reise durch Ostdeutschland ist nicht nur der Kohle-Ärger längst vergessen, Gabriel zeigt sich nun selbstgewiss und entschlossen. Klar, die Erfolgsgeschichten rund um die Digitalisierung der Wirtschaft machen es ihm leicht. In Dresden etwa besuchte der Wirtschaftsminister global agierende Mikroelektronik-Unternehmen, in Jena lässt er sich von Forschern demons­trieren, wie weit das Zusammenspiel von Mensch und Maschine bereits ist. „Nehmen Sie mich bitte an die Hand, ich folge Ihnen“, sagt der Roboter. Als Gabriel etwas zu heftig zufasst und der Roboter erst einmal hinfällt, findet der Minister rasch Trost: Bei der Kanzlerin habe sich ein Roboter sogar einmal geweigert, ihr die Hand zu geben. Später schwärmt er über die Leistungen der Spitzenforschung: „Das macht Deutschlands Erfolg aus.“ Nirgends sei das Geld besser angelegt als hier, notwendig sei eine Erhöhung der Forschungsausgaben.

In solchen Momenten scheint es, als könne Gabriels Kalkül doch noch aufgehen: Er als Wirtschaftsminister werde auch dazu beitragen, dass seiner SPD mehr Wirtschaftskompetenz zugebilligt wird. Er bleibt bei seiner Strategie, die SDP auch damit stärker in die Mitte zu rücken – ein Vorhaben, das auf zunehmenden Widerstand der Parteilinken stößt. Aber Gabriel gibt sich entschlossen, sein Konzept weiter durchzusetzen. Er weiß, dass er auf absehbare Zeit keinen Rivalen zu fürchten hat. Nicht als Parteichef und auch nicht als Kanzlerkandidat.

Die alte SPD-Forderung nachUmverteilung rückt in den Hintergrund

Alles spricht dafür, dass Gabriel 2017 gegen Angela Merkel antreten wird. Die Vorbereitungen laufen längst, selbst wenn Gabriel die Entscheidung offiziell erst Ende 2016 bekannt geben will, damit seine Kandidatur nicht vorzeitig zerredet wird. Auf einem SPD-Perspektivkongress im Oktober soll seine große Linie für den Wahlkampf erstmals debattiert werden. Dann wird ein von der engsten Parteiführung bereits gebilligtes Papier beraten: Die alte SPD-Forderung nach Umverteilung rückt in den Hintergrund, der Ruf nach Steuererhöhungen wird kritisch bewertet und stattdessen Sicherheit als neues Großthema beschrieben.

Die SPD-Linke ist empört, doch die große Revolte muss Gabriel nicht befürchten. Es gibt jetzt Wichtigeres für die Genossen: Die Partei hat längst die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im Frühjahr 2016 vor Augen. Verlieren die Sozialdemokraten das Ministerpräsidentenamt in Mainz an die Union, werde es für die SPD schwierig, heißt es in der Parteiführung. Ein Sieg aber werde Gabriel richtig Rückenwind geben.