Berlin . Innenminister Thomas de Maizière warnt vor steigenden Zahlen von Asylbewerbern. Städte fordern mehr Geld vom Bund.

Die neue Flüchtlingsprognose der Bundesregierung hat die Diskussion um rasche Maßnahmen zur Bewältigung der Aufgaben und der Kostenverteilung verschärft. Der Deutsche Landkreistag geht in seinen Berechnungen von durchschnittlichen Ausgaben von 10.000 Euro pro Asylbewerber aus. Damit müssten für Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen in diesem Jahr bundesweit etwa acht Milliarden Euro aufgewendet werden. Am Mittwoch hatte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) von bis zu 800.00 Menschen gesprochen, die 2015 nach Deutschland kommen könnten.

Nach Recherchen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ müssen die Länder in diesem Jahr sogar mit Kosten in Höhe von insgesamt zehn Milliarden Euro rechnen. Die Summe ergibt sich aus der neuen Prognose und den von einigen Ländern an Kommunen oder Landkreise gezahlten Pauschalen pro Flüchtling. In Baden-Württemberg liegt die Pauschale in diesem Jahr bei 13.260 Euro, in Bremen bei 12.500 Euro, in Berlin bei 12.000 Euro.

Der Deutsche Städtetag fordert zusätzliche Hilfe des Bundes

Von den Kosten übernimmt der Bund nach bisherigem Stand eine Milliarde Euro. Der Landkreistag sprach sich für eine „dauerhafte Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen aus“. „Wir müssen endlich herauskommen aus diesem Krisenmodus“, sagte Sprecher Markus Mempel.

Der Deutsche Städtetag forderte angesichts steigender Flüchtlingszahlen zusätzliche Hilfe des Bundes in Millionenhöhe. Der kommunale Spitzenverband lieferte drei Vorschläge, welche Kosten der Bund übernehmen könnte: eine Pro-Kopf-Pauschale, die Übernahme aller Kosten für einen Asylbewerber bis zur Entscheidung über seinen Antrag oder die Übernahme der Gesundheitskosten. Für 2016 hat die Bundesregierung versprochen, sich „dauerhaft, strukturell und dynamisch“ an den Kosten zu beteiligen.

Angesichts der unerwartet hohen Juli-Steuereinnahmen sieht der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka Spielraum für deutlich höhere Hilfen für Flüchtlinge. Die beschlossenen Aufwendungen sollten mindestens noch einmal verdoppelt werden. Die Finanzämter hätten mit 49,3 Milliarden Euro 8,6 Prozent mehr in ihren Kassen als im Vorjahresmonat. Damit nahm der Fiskus in den ersten sieben Monaten bereits 349,4 Milliarden Euro ein, was einem Plus von 5,9 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres entspricht.

Deutschland kann nach Ansicht von de Maizière auf lange Sicht nicht 800.000 Asylbewerber pro Jahr aufnehmen. „In diesem Jahr müssen und werden wir das verkraften. Auf Dauer allerdings sind 800.000 für ein solches Land wie Deutschland zu viel“, sagte er im ZDF-„Morgenmagazin“. Dies gelte insbesondere angesichts dessen, was andere europäische Länder leisteten. „Wir nehmen jetzt 40 Prozent aller Flüchtlinge in der EU auf“, sagte der Minister. „Das ist auf die Dauer zu viel.“ Zwar sei er für offene Grenzen und „ein überzeugter Europäer“, fuhr de Maizière fort. „Aber wenn auch andere europäische Staaten sich nicht an Recht und Gesetz halten, (...) dann brauchen wir ein anderes System, das funktioniert.“ Sein Fazit: „Offene Grenzen gehen nur, wenn das System innerhalb des Raumes, in dem es offene Grenzen gibt, dann auch ausgeglichen funktioniert. Und das ist nicht der Fall.“

Die Bewältigung der Flüchtlingskrise bedarf nach den Worten des SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzenden, Thomas Oppermann, einer „nationalen Kraftanstrengung“. Dabei müsse der Bund die Kommunen bei der Unterbringung von Flüchtlingen unterstützen. „Auf der anderen Seite brauchen wir eine neue Flüchtlingsordnung in Europa“, sagte Oppermann. Das bisher geltende Dublin-Abkommen, wonach der Staat, in den ein Asylbewerber zuerst eingereist ist, das Asylverfahren durchführen muss, sei kollabiert.

Prognose ist Grundlage für die Bund-Länder-Verhandlungen im September

Oppermann setzt zudem auf schnellere Verfahren, anstatt Flüchtlingen das Taschengeld zu kürzen. „Der springende Punkt ist doch, dass nur für einen Monat Taschengeld gezahlt werden müsste, wenn das Anerkennungsverfahren eben nur einen Monat dauern würde und nicht wie jetzt mindestens fünf Monate“, sagte er der in Düsseldorf „Rheinischen Post“. Auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) dringt auf schnellere Asylverfahren. „Wir brauchen beschleunigte Verfahren. Das ist das A und O“, sagte Dreyer. Sie sprach davon, dass nun auch de Maizière in der „Realität angekommen“ sei. Die Bundesländer hätten seit Monaten darauf hingewiesen, dass die Prognose von 450.000 Asylanträgen zu niedrig sei. Die Prognose ist Grundlage für die für September geplanten Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über die Kostenverteilung.

Und eine Linderung des Problems ist nicht in Sicht. Noch immer streben täglich Tausende Menschen aus den Kriegs- und Krisengebieten in Asien und Afrika nach Europa. Eine Fähre mit mehr als 2400 syrischen Flüchtlingen an Bord hat gestern in der Hafenstadt Piräus das griechische Festland erreicht. Die griechische Regierung hatte das Schiff gechartert, um die unter dem Ansturm der Migranten leidenden Inseln wie Kos zu entlasten. Kos liegt nur fünf Kilometer von der türkischen Küste entfernt und ist deshalb ein erster Anlaufpunkt für viele Flüchtlinge. Etliche Syrer an Bord der Fähre wollen nicht in Griechenland bleiben, sondern über Thessaloniki in die reicheren EU-Staaten wie Deutschland weiterreisen.