Berlin. Heute gibt die Bundesregierung neue dramatische Zahlen bekannt. Länder sollen mehr Geld erhalten

Noch ist es inoffiziell. Thomas de Maizière (CDU) will erst heute die Prognose für die Flüchtlingszahlen bekannt geben. Es ist bereits die zweite Anpassung an die Realität in diesem Jahr. Die Zahlen werden steigen, und zwar drastisch. Seit Tagen bereitet der Minister die Öffentlichkeit darauf vor. Viel zu lange sei er von „viel zu geringen Zahlen ausgegangen“, kritisierte gestern Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Es sei gut, wenn er sich jetzt ehrlich mache.

Zuletzt ging die Regierung von 450.000 Flüchtlingen aus. Jetzt erwartet sie laut „Handelsblatt“ schon 650.000 bis 750.000 – das wären mehr als im bisherigen Rekordjahr 1992. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sprach sogar von 700.000 bis 800.000 Flüchtlingen.

Im Kanzleramt hält man die Lage noch für beherrschbar. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will auf eine EU-Quotenregelung dringen. Sie könnte unter anderem auf den Hohen Flüchtlingskommissar der Uno, Antonio Guterres, verweisen. Der hat gerade in der „Welt“ die ungleiche Verteilung von Migranten in Europa kritisiert. Es sei nicht tragbar, dass mit Deutschland und Schweden nur zwei EU-Staaten die Mehrheit der Flüchtlinge aufnähmen, sagte er. Man müsse die Verantwortung auf mehr Schultern verteilen.

Daheim wird Merkel die Länder stärker finanziell unterstützen. Für 2015 und 2016 war ihnen eine Milliarde Euro zugesichert worden. Nun ist davon die Rede, den Betrag zu verdoppeln. Mit einmaligen Finanzspritzen werden sich die Länder nicht zufrieden geben. Sie wollen auf einem „Asylgipfel“ Anfang September in Berlin darauf pochen, dass der Bund sich strukturell und dauerhaft an den Kosten beteiligt.

Kommunen, Länder und Bund müssen verstärkt Gebäude für Flüchtlingsunterkünfte sichern. Nicht jede Turnhalle wird zu Schulbeginn auch tatsächlich wieder für den Sport freigegeben werden können. Hinter vorgehaltener Hand ist sogar von „Zwangseinweisungen“ die Rede, um Gebäude für Flüchtlingsheime sicherzustellen. Wo die Entwicklung enden wird, kann keiner voraussagen.

Die Regierung kämpft allerdings mit zum Teil hausgemachten Problemen: Wegfall von Grenzen, obwohl die gemeinsame Außengrenze der EU nicht ausreichend kontrolliert wird, Visa-Freiheit für Balkan-Staaten, Erhöhung von Sozialleistungen aufgrund von höchstrichterlichen Urteilen, diverse Erlasse der Länder, im Winter keine Asylbewerber abzuschieben.

Das sind allesamt Anreize für Zuwanderer, die sich nun rächen und eigentlich gestoppt werden müssten. Noch sei man „im Stadium des Sammelns von Vorschlägen und völlig unkoordiniert“, heißt es im Regierungslager. Der Innenminister werde an vielen Stellschrauben drehen müssen.

So sollen die Verfahren für Asylbewerber wesentlich beschleunigt werden, wie der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf), Manfred Schmidt, gestern in Bad Berleburg ankündigte. „Die Verfahren dauern derzeit durchschnittlich 5,4 Monate. Unser Ziel ist eine Verfahrensdauer von drei Monaten“, erläuterte Schmidt. Unterstützung bekommt sein Amt vom Finanzministerium. Kurzfristig sollen 50 Zollbeamte für bis zu sechs Monate an das Bundesamt entsandt werden.

Um die Verfahren zu verkürzen, will de Maiziere noch mehr Balkanländer zu sicheren Herkunftsstaaten erklären: Nach Serbien, Bosnien und Mazedonien künftig auch Albanien, das Kosovo und Montenegro. Dafür braucht er eine Mehrheit der Länder und damit die Zustimmung der Grünen, die sich bisher sperren. In Abschiebelagern in Bayern sollen die Bewerber aus dem Balkan zentral untergebracht werden, um so ihre Anträge schneller bearbeiten zu können.

Noch viel problematischer als in Deutschland ist die Situation im schwer unter der Schuldenkrise leidenden Griechenland. Nach Uno-Einschätzung ist der Staat durch immer weiter steigende Flüchtlingszahlen überfordert und braucht dringend Unterstützung. Seit Jahresbeginn seien rund 160.000 Migranten nach Griechenland gekommen, teilte das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Genf mit. Wie sehr sich die Lage zuspitzt, mache die jüngste Zahl zum Flüchtlingsdrama in Griechenland deutlich: An den sieben Tagen vom 8. bis 14. August erreichten 20.843 Flüchtlinge das Land – so viele wie 2014 in sechs Monaten.

Ungarn setzt Tausende zusätzliche Polizisten an serbischer Grnze ein

Die Uno-Organisation rät der Regierung in Athen, ein Sondergremium zu schaffen, das alle Aktivitäten zur Aufnahme und Unterstützung der Flüchtlinge koordiniert. „Europäische Staaten sollten Griechenland dabei unterstützen“, fordert das UNHCR. Die meisten der in den vergangenen Wochen nach Griechenland geflohenen Menschen kamen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Fast alle erreichten Griechenland auf dem gefährlichen Seeweg über das Mittelmeer.

Mit Tausenden zusätzlichen Polizisten will unterdessen Ungarn den Zustrom von Flüchtlingen über die serbische Grenze stoppen. Der Einsatz sei wegen eines zunehmend aggressiven Verhaltens der Flüchtlinge notwendig, sagte der Stabschef von Ministerpräsident Viktor Orban, Janos Lazar.