Rio de Janeiro. Korruption und Wirtschaftskrise: viele Bürger gegen Präsidentin Rousseff. Droht Gefahr für Olympia?

Dilma Rousseff liest derzeit nicht gerne Zeitung, sagt sie. Wer will schon Bilder sehen, auf denen einem die Rote Karte gezeigt wird. Auch anderswo schlägt ihr Protest entgegen. Letztens protestierten vor allem wohlhabende Brasilianer zu Hunderttausenden mit lautem Kochtopfschlagen, als im Fernsehen eine Sendung mit der Präsidentin lief. „Fora Dilma“ lautet das Motto für Demons­trationen in 50 Städten – Dilma raus.

In diesen, für das fünftgrößte Land der Welt wenig erbaulichen Tagen, kommt einem das Buch von Stefan Zweig in den Sinn, der auf der Flucht vor den Nationalsozialisten in Brasilien eintraf und überwältigt vom „Land der Zukunft“ schrieb. Zweig bezog das vor allem auf die Friedfertigkeit und Toleranz der Menschen, das Miteinander. Das Experiment Brasilien bedeutete „mit seiner völligen und bewussten Negierung aller Farb- und Rassenunterschiede (...) den vielleicht wichtigsten Beitrag zur Erledigung eines Wahns, der mehr Unfrieden und Unheil über unsere Welt gebracht hat als jeder andere.“ Seither ist es ein gern benutztes Bonmot, das Brasilien vielleicht immer ein Land der Zukunft bleiben werde.

Auf Hoffnung folgt Depression. Und die aktuelle Depression könnte besonders heftig ausfallen – sie basiert auf einem gefährlichen Mix aus politischer Lähmung, immer neuen Enthüllungen im größten Korruptionsskandal der Geschichte Brasiliens, einer sich beschleunigenden Inflation und einem massiven Wirtschaftseinbruch. Gerade die Bürger mit geringeren Einkommen, die oft stundenlang aus der Favela ins Zentrum zur Arbeit fahren, zwei, drei Jobs haben, werden hart getroffen: Strom, der Einkauf, alles wird gerade teurer. Der schwache Real lässt sie bedeutend weniger für ihr Geld bekommen. Besser situierte Bürger fragen schon mal nach der Rolle des Militärs, wenn das so weitergehe.

38 Minister regieren das Land, der Staatsapparat ist aufgebläht

Rousseff betont: „Der brasilianische Staat wird in der Welt nur so weit respektiert, wie auch im eigenen Land der Wille des Volkes respektiert wird.“ Dieser Wille habe dazu geführt, dass sie im Oktober 2014 knapp gegen ihren Mitte-rechts-Herausforderer Aécio Neves gewann. Die frühere Guerillakämpferin, gefoltert während der Militärdiktatur, muss aber seit Beginn der zweiten Amtszeit gegen Probleme anarbeiten.

Punkt 1: der Korruptionsskandal. Bei der Vergabe von Aufträgen, vor allem bei Bauten für den halbstaatlichen Petrobras-Konzern, soll in Milliardenhöhe geschmiert worden sein. Im Fokus der Ermittlungen steht die seit 2003 regierende Arbeiterpartei. Unter dem damaligen Präsidenten Lula da Silva war Rousseff anfangs Energieministerin und auch Petrobras-Aufsichtsratschefin – dennoch bestreitet sie jede Verwicklung. Die Ermittlungen gegen Manager und Politiker sind weit fortgeschritten, einige müssen lange Haftstrafen fürchten.

Punkt 2: die politische Blockade. 38 Minister regieren das Land, der Staatsapparat ist aufgebläht. Rousseff will sparen, auch die Ministerienzahl soll gestrafft werden. Aber der Kongress tritt auf die Bremse. Punkt 3: die ökonomische Krise. In den besseren Zeiten ist zu wenig in In­fra­struktur, Energieversorgung und Modernisierung der Industrie investiert worden. Unternehmen wie Petrobras sind abgestürzt, der niedrige Ölpreis tut sein Übriges. Das Land ist sehr stark abhängig vom Rohstoffexport. Die Inflation kletterte im Juli auf 9,56 Prozent im Vergleich zum Juli 2014. Mercedes-Benz und VW müssen ihre Produktion deutlich drosseln, es drohen Einbußen.

66 Prozent der Bürger sind laut einer Umfrage für eine Amtsenthebung Rousseffs. Eine Protestwelle könnte die Olympischen Spiele 2016 in Rio überschatten. Doch beim Veranstalter IOC gibt man sich ganz entspannt: „Die Olympischen Spiele haben eine starke Unterstützung der Brasilianer, trotz der ökonomischen und politischen Krise“, glaubt die Chefin des IOC-Koordinationskomitees für die Rio-Spiele, Nawal El Moutawakel.