Athen/Brüssel/Berlin. Tsipras stimmt Sparauflagen zu. Im Gegenzug winken 86 Milliarden Euro. Details müssen noch geklärt werden

Erneut hatten die Verhandlungspartner bis in die frühen Morgenstunden miteinander gerungen. Nach einer 13-stündigen Verhandlungsnacht kam der griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos aus dem Hilton-Hotel in Athen und verkündete, man sei „ganz nah“ an einer Einigung. Wenig später bestätigte eine Sprecherin der EU-Kommission in Brüssel, auf Expertenebene sei man sich über ein drittes Hilfspaket einig. Aber: „Es bleiben noch einige Details zu klären.“

Es geht um die Reformen, die Griechenland umsetzen muss, um in den nächsten drei Jahren noch einmal bis zu 86 Milliarden Euro an Krediten zu bekommen. Schon am Donnerstag will Premierminister Alexis Tsipras die neue Reformliste durch das Parlament bringen. Möglicherweise könnte bereits in der kommenden Woche eine erste Kreditrate überwiesen werden. Athen muss am 20. August knapp 3,5 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank zurückzahlen.

Allerdings warten noch einige Stolpersteine. In mehreren Euro-Ländern werden die nationalen Parlamente über den Vorschlag abstimmen, darunter Deutschland. Und in Griechenland steht der Regierung eine Zerreißprobe bevor.

Gestern Nachmittag sollten die Vize-Finanzminister aller 28 EU-Staaten in einer Telefonkonferenz informiert werden. Außerdem wollte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident François Hollande telefonieren. Die Geldgeber – am Verhandlungstisch saßen Vertreter der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB), des Internationalen Währungsfonds (IWF) und des Euro-Rettungsfonds ESM – sind Athen weit entgegengekommen. Aber auch die Athener Regierung musste viele schmerzhafte Zugeständnisse machen.

Weil die griechische Wirtschaft wieder in eine tiefe Rezession gefallen ist, werden Budgetvorgaben gelockert. Im laufenden Jahr soll Athen noch einmal ein Defizit vor Zinsen schreiben dürfen, und auch für die kommenden zwei Jahre haben die Geldgeber die Ziele heruntergesetzt. Das verschafft der Regierung Luft bei den Staatsausgaben und entkräftet die Vorwürfe, die Geldgeber zwängen Griechenland eine überharte Sparpolitik auf.

Im Gegenzug muss Tsipras eine Reformagenda umsetzen, die den Wahlversprechen, mit denen er Ende Januar an die Macht kam, diametral widerspricht: eine umfassende Rentenreform, Öffnung des Energiemarktes, Privatisierungen, Verwaltungsreform, Einführung verkaufsoffener Sonntage, Deregulierung des Apotheken-, Bäckerei- und Milchmarktes, Abschaffung der Steuerprivilegien für Landwirte, eine neue Besoldungsordnung im Staatsdienst und vieles mehr. Vor der Wahl hatte Tsipras versprochen, mit ihm werde es kein neues Sparprogramm geben. Umso rascher möchte er das Paket jetzt schnüren. Sollte er es morgen durch das Parlament schaffen, könnten am Freitag die Finanzminister der Euro-Gruppe grünes Licht geben und anschließend einige nationalen Parlamente wie der Bundestag.

Griechenland bekommt seit 2010 Finanzhilfen seiner Euro-Partner, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds. Bis zum 20. August braucht Athen frisches Geld, um 3,2 Milliarden Euro an die EZB zurückzuzahlen, ansonsten wäre wohl eine weitere Zwischenfinanzierung nötig.

Sollte die Einigung vor dem 20. August nicht zustande kommen, gibt es einen Plan B. Danach könnte Griechenland einen weiteren Brückenkredit aus dem EFSM-Fonds erhalten. In Berlin entstand gestern der Eindruck, dass die Bundesregierung diese Variante bevorzugen würde. „Wir werden das Ergebnis aus Athen in den nächsten Tagen sorgfältig prüfen“, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Finanzministerium, Jens Spahn (CDU). Eine Vereinbarung müsse für die nächsten drei Jahre tragen, nicht nur für ein paar Monate. Außerdem sei wichtig, dass der IWF an Bord bleibe. Vor allem in der Unionsfraktion im Bundestag dürften die neuen Milliardenhilfen für Athen kritisch begutachtet werden. 60 CDU/CSU-Abgeordnete hatten gegen die Aufnahme von Verhandlungen gestimmt – ein Viertel der Fraktion. Ihr Vorsitzender Volker Kauder hatte daraufhin Disziplin angemahnt und damit einen Streit über die Freiheit von Abgeordneten losgetreten.

Ökonomen bewerteten das Endeder Verhandlungen positiv

Wolfgang Bosbach (CDU), einer der Kritiker der Griechenlandhilfen, sagte: „Druck und Drohungen haben bei mir eher kontraproduktive Wirkung. Es wird auch keiner von mir erwarten, dass ich meine Meinung ändere, nur weil sich Volker Kauder so geäußert hat.“ Er kenne auch „keinen, der mit Nein gestimmt hat und jetzt sagen würde: Nach dem Anpfiff nehme ich eine andere Haltung ein.“

Ökonomen bewerteten das Ende der Verhandlungen positiv. Es sei ein Erfolg, aber gleichzeitig nur ein erster Schritt, sagte DIW-Chef Marcel Fratzscher. Wichtig sei nun die Umstrukturierung der Banken und ein Wachstumsimpuls für die griechische Wirtschaft. Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenbergbank, nannte die Einigung „einen guten Deal“. Eine Einigung in so kurzer Zeit zeige, dass die griechische Regierung gewillt ist, das Nötige zu tun, um im Euro zu bleiben.“

Seite 2 Leitartikel: Athens letzte Chance