Berlin. Gewerkschaftsbasis rebelliert und lehnt Schlichtungsergebnis ab. Ver.di-Chef Bsirske unter Druck

Viele Eltern in Deutschland müssen sich auf neue Kita-Streiks einstellen: Nur zwei Monate nach der letzten Streikwelle droht in den kommunalen Kindertagesstätten ein neuer Arbeitsausstand. Der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, Frank Bsirske, erklärte am Sonnabend die Schlichtung für Erzieher und Sozialarbeiter für gescheitert. „Der Streik wird fortgesetzt“, sagte er. Zuvor hatten bei einer Befragung 70 Prozent der betroffenen Ver.di-Mitglieder den Schlich­terspruch abgelehnt.

Das habe er so noch nie erlebt, räumte Bsirske ein. Eine Befriedung auf dieser Grundlage sei nicht möglich, die Basis habe ein klares Signal gesendet, „auch an die eigene Gewerkschaft. Das ist ein klarer Handlungsauftrag, den Streik fortzusetzen.“ Das ist noch untertrieben. Das „klare Signal“ kommt einer kleinen Revolution gleich. Die Basis folgt der Gewerkschaftsspitze nicht. Auch bei der kleineren Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) stimmten 68,8 Prozent gegen den Schlichterspruch, beim Beamtenbund auch noch mehr als 60 Prozent.

Zu groß ist an der Basis die Wut über eine Tarifempfehlung, die bescheidener ausfällt als erhofft. Nach vier Wochen Streik sollten die 240.000 Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst zwischen zwei und 4,5 Prozent mehr erhalten, durchschnittlich 3,3 Prozent. So lautete der Schlichterspruch, den der frühere sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) und der Ex-Oberbürgermeister von Hannover, Herbert Schmalstieg (SPD), vorgelegt hatten. Doch viele der betroffenen Erzieher, Kinderpfleger, Sozialarbeiter und Sozialpädagogen reagierten schon im Juni empört, notgedrungen wurden die Mitgliederbefragungen angesetzt. Gefordert hatten die Gewerkschaften Einkommensverbesserungen von rund zehn Prozent, die die Beschäftigten in höhere Entgeltgruppen befördern sollten. Die Arbeit in Kindergärten und Krippen sollte damit deutlich aufgewertet werden – getreu der wachsenden Einsicht, dass Kitas zentrale Einrichtungen frühkindlicher Bildung sind und nicht bloße Verwahranstalten.

Umgesetzt haben die Gewerkschaften von ihrer Forderung aber nur ein Drittel, ungewöhnlich wenig. Eine echte Aufwertung habe es nicht gegeben, rechnet nun auch Bsirske vor: Das Gros der Erzieherinnen in der Entgeltgruppe S 6 hätte bei Vollzeit 60 Euro monatlich mehr erhalten. Sozialarbeiter und Sozialpädagogen seien sogar fast leer ausgegangen.

Mehr aber war trotz des vorangegangenen Streiks in den zähen, nächtelangen Schlichtungsgesprächen offenbar nicht herauszuholen. Weshalb Bsirske den Mitgliedern Ende Juni dringend nahelegte, die Schlichtung anzunehmen. Sein Problem: Ihm fehlt ein wirkungsvolles Druckmittel. Der Kita-Streik tut zwar den Eltern weh, aber nicht den Arbeitgebern. Ihnen entstehen durch den Ausstand praktisch keine Kosten, stattdessen sparen sie die Gehaltszahlungen. Bsirske hatte die eigenen Leute deshalb schon gewarnt: Wo die Arbeitgeber die Elternbeiträge nicht zurückzahlten, hätten sie durch den Streik Millionengewinne gemacht. Mit einem neuen Streik werde die Auseinandersetzung nur schwieriger.

Doch die Basis hat das nicht abgeschreckt. Zu groß ist der Frust, dass der wochenlange Streik so wenig gebracht haben soll.

Ein Debakel für den ruppigen Gewerkschaftsboss. Er hat sich verrechnet und Hoffnungen geweckt, die realistisch nicht zu erfüllen sind, jedenfalls nicht auf einen Schlag. Der letzte Klassenkämpfer im Gewerkschaftslager, der bei Bedarf auch mal den Krawallmacher gibt, hatte in diesem Jahr eine Reihe von Streiks angezettelt – bei der Post, im öffentlichen Dienst, bei Amazon und eben bei den Kitas. Wirklich erfolgreich war keiner.

Dabei hatte Bsirske mit den Arbeitskämpfen wohl auch seine Wiederwahl im Blick: Der 63-Jährige will sich beim Ver.di-Kongress im September in Leipzig zum fünften und letzten Mal zum Vorsitzenden küren lassen. Doch seine Bilanz ist durchwachsen. Er hat den Abwärtstrend der Dienstleistungsgewerkschaft zwar verlangsamt, aber nicht gestoppt.

Der Kita-Streik sollte Bsirskes Triumph beim Kongress sein, jetzt wird er zur großen Niederlage. Bsirske muss wohl gegen bessere Einsicht für weitere Streiks werben, es geht um sein Überleben im Spitzenamt. Schon droht er mit „unkonventionellen Streikformen“. Betroffen wären – voraussichtlich noch im August – erneut die kommunalen Kitas, also rund ein Drittel der Kindertagesstätten bundesweit. Am Dienstag berät die Ver.di-Tarifkommission, für Donnerstag ist die nächste Tarifverhandlungsrunde in Offenbach angesetzt. Eigentlich sollte dann die Umsetzung des Schlichterspruchs vereinbart werden. Nun fordert Bsirske einen Nachschlag mit „substanziellen Zugeständnissen“.

Die kommunalen Arbeitgeberlehnen weitere Zugeständnisse ab

Linken-Chef Bernd Riexinger begrüßte, „dass Ver.di die wichtige Tarifauseinandersetzung um die längst überfällige Aufwertung sozialer Arbeit fortsetzt. Jetzt sind die kommunalen Arbeitgeber gefordert, ein Angebot vorzulegen, das diesen Namen verdient.“

Doch die Gegenseite schaltet auf stur. Die Schmerzgrenze sei schon mit dem Schlichterspruch erreicht, erklärt der Städte- und Gemeindebund. Und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) stellt klar, weitere Veränderungen am Schlichterspruch könne es nicht geben. VKA-Präsident Thomas Böhle ging Bsirske am Wochenende scharf an: Die Gewerkschaften hätten mit unrealistischen Forderungen und durch aggressives Vorgehen Erwartungen geweckt, die nicht zu erfüllen seien. „Sie sind nun offenbar nicht mehr in der Lage, den Tarifkonflikt zu beenden.“ Für erneute Streiks habe er kein Verständnis.