Kabul. Schwerste Angriffe seit Jahren in Kabul. Uneinigkeit über Taktik in Taliban-Führung. Derzeit sind 860 deutsche Soldaten im Einsatz am Hindukusch

Bei der schwersten Anschlagswelle seit Jahren sind in Afghanistan mindestens 70 Menschen getötet und Hunderte verletzt worden. Die radikalislamischen Taliban bekannten sich zu den Selbstmordanschlägen in Kabul auf einen Stützpunkt von US-Elitetruppen in der Nähe des Flughafens und eine Polizeiakademie. Bei dem Angriff auf das US-Camp Integrity kamen nach Militärangaben ein ausländischer Soldat und acht afghanische Angestellte ums Leben.

Die Explosion am Tor zu Camp Integrity war so stark, dass sie Büros im Inneren des Komplexes einstürzen ließ. Dabei wurden etliche Menschen verletzt. Der ersten kräftigen Detonation seien weitere gefolgt, anschließend sei es zu einem Stunden andauernden Gefecht gekommen, sagte ein Angehöriger der Elitetruppen, der beim Einsturz seines Büros verletzt wurde. Camp Integrity wird von der US-Sicherheitsfirma Academi betrieben, die früher unter dem Namen Blackwater bekannt war.

Deutsche Soldaten waren von den Anschlägen nach Angaben des Einsatzführungskommandos in Potsdam nicht betroffen. Viele der Bundeswehrangehörigen in Kabul wohnten jedoch im Camp Kassaba, das direkt an den Stützpunkt der US-Spezialkräfte grenzt. Derzeit sind 860 deutsche Soldaten in Afghanistan im Einsatz, rund 110 von ihnen in der afghanischen Hauptstadt.

Vor dem Angriff auf Camp Integrity war eine Polizeiakademie Ziel eines Selbstmordanschlags. Nach Angaben aus Polizeikreisen wurden dabei 26 Menschen getötet und 28 verletzt. „Der Selbstmordattentäter trug eine Polizeiuniform und zündete seinen Sprengstoff unter Polizeischülern, die gerade von einer Pause zurückkamen“, erklärten die Sicherheitskräfte. Bei der Explosion der Lastwagen-Bombe im Zentrum der Hauptstadt wurden mindestens 15 Menschen getötet.

Einen weiteren Anschlag gab es am Sonnabend in der nördlichen Provinz Kundus. Dort wurden 22 Angehörige einer regierungstreuen Miliz getötet. Auch zu diesem Angriff bekannten sich die Taliban. Die Milizen sollen die Taliban bekämpfen. Doch sie schaffen auch Gewalt und Unsicherheit. Ins Leben gerufen wurden sie auf Veranlassung der US-Streitkräfte. Wie viele Mitglieder die informellen Milizen haben, ist nicht bekannt. In Kundus im Norden Afghanistans machen die Bewohner die Milizen für die schlechte Sicherheitslage mitverantwortlich. Einige der Anführer seien an außergerichtlichen Tötungen von unliebsamen Personen oder angeblichen Taliban-Sympathisanten beteiligt gewesen, berichtete ein Dorfältester. „Sie waren in Raub, Erpressung und Misshandlungen verwickelt.“ Das ehemalige Einsatzgebiet der Bundeswehr wurde kürzlich beinahe von den Taliban überrannt.

In deren Führung herrscht Streit, seit Mullah Achtar Mansur kürzlich als Nachfolger von Mullah Omar ausgerufen wurde. Während es zunächst so aussah, als seien die Taliban zu einem Friedensprozess bereit, haben sie inzwischen die Fortsetzung ihres Aufstandes angekündigt. Die Anschlagswelle solle womöglich eine Botschaft an die Extremisten im ganzen Land und die Regierung senden, sagte der Experte Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network. „Die Frage ist: Wer sendet die Botschaft?“ Vielleicht wollten auch Gegner Mansurs in den eigenen Reihen mit den Gewalttaten die Hoffnung auf einen Friedensprozess zunichtemachen. „Einige Leute haben gehofft, dass der Tod Mullah Omars die Taliban schwächen wird“, sagte Ruttig. „Ich glaube, das war ein bisschen sehr optimistisch.“

In dem Konflikt in Afghanistan sind seit Jahresanfang nach Uno-Angaben fast 5000 Zivilisten getötet oder verletzt worden. Die meisten ausländischen Soldaten waren mit dem Ende des Kampfeinsatzes der Nato-Truppe Isaf 2014 vom Hindukusch abgezogen worden. Die afghanischen Sicherheitskräfte müssen nun erstmals einer Sommeroffensive der Taliban praktisch allein die Stirn bieten.