Berlin . Jurist hatte Justizminister in Affäre um Netzpolitik.org frontal angegriffen. Nachfolger wird Münchner Generalstaatsanwalt.

Heiko Maas hat lange geschwiegen und gewartet, den ganzen Tag lang. Er hat sich erst im Kanzleramt rückversichert und einen Nachfolger gefunden. Am Abend war der Justizminister so weit: Generalbundesanwalt Harald Range wurde vorzeitig in den Ruhestand versetzt, ein halbes Jahr vor seinem regulären Renteneintritt. Nachfolger wird der Münchner Generalstaatsanwalt Peter Frank. Range hatte den SPD-Minister angegriffen und ihm in der Blog-Affäre vorgeworfen, Einfluss auf Ermittlungen genommen zu haben. Maas bestreitet das und warf dem Juristen seinerseits vor, einen „falschen Eindruck“ zu vermitteln.

Am Morgen rechnen viele mit Ranges Rücktritt. Aber der Staatsanwalt gibt nicht klein bei. Er will am Verfahren wegen Landesverrats gegen zwei Journalisten festhalten und sich nicht von Maas stoppen lassen. Range macht transparent, wie der SPD-Mann versucht hatte, auf Ermittlungen Einfluss zu nehmen, „weil deren mögliches Ergebnis politisch nicht opportun erscheint“. Der Staatsanwalt sprach von einem „unerträglichen Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz“. Der Eklat war perfekt

Das „Sommertheater“ ist in der Hauptstadt ein etabliertes Format. Die Rangelei eignet sich ideal dazu. Der Minister wollte den Fall „nicht durch den Sommer schleppen“. Er steht unter Druck. Die Grünen beantragten eine Sondersitzung des Rechtsausschusses. Die Liberalen kritisierten, die Regierung habe jedes Maß verloren. Mehrheitlich steht der Generalbundesanwalt in der Kritik. Aber die Auseinandersetzung könnte auch für Maas gefährlich werden. Schon gehen die ersten Unions-Politiker auf Abstand. Er sehe noch „Verbesserungspotenzial in der Amtsführung“, bemerkte der CDU-Rechtspolitiker Patrick Sensburg.

Fürsorge und Loyalität spielten seit Langem keine Rolle mehr. Maas überließ den Generalbundesanwalt schutzlos der öffentlichen Kritik – Range nahm auch keine Rücksicht mehr. Der Anlass war ein Gutachten, das seine Behörde in Auftrag gegeben hatte. Range wollte vom Sachverständigen wissen, ob es sich bei den Papieren, die Netzpolitik.org veröffentlicht hatte, um ein Staatsgeheimnis handelte. Der Gutachter bejahte am Montag die Frage und bestätigte die Auffassung des Staatsanwalts und des Bundesamts für Verfassungsschutz. Range fühlte sich darin bestärkt, das Verfahren gegen die Journalisten weiter zu betreiben. Das Justizministerium aber wies ihn an, das Gutachten sofort zu stoppen und den Auftrag zurückzuziehen. Maas hat eine andere Version. Nach seiner Darstellung hatten Range und er schon am Freitag vereinbart, den Auftrag zurückzuziehen, und zwar „gemeinsam.“

Richter sind unabhängig, nicht aber Staatsanwälte. Sie unterliegen Weisungen. Staatsrechtler Joachim Wieland hält die Kritik vom Generalbundesanwalt am Minister für nicht gerechtfertigt. Ungewöhnlich war sie definitiv, ein Frontalangriff. Range trug am Morgen in Karlsruhe ein kurzes Statement vor, auf Fragen ließ er sich nicht ein. Er dozierte, die Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut, aber „auch nicht im Internet schrankenlos“. Dieses Freiheitsrecht entbinde Journalisten nicht von der Einhaltung der Gesetze – darüber zu wachen sei Aufgabe der Justiz. Diese Aufgabe könne sie wiederum nur erfüllen, wenn sie frei von politischer Einflussnahme sei. Jeder Satz zielte auf den Justizminister.

Range ist 67 Jahre alt und sollte im Februar 2016 in Rente gehen. Er hat nicht viel zu verlieren. Der Fall ist kurios, weil das Problem der Regierung hausgemacht ist. Der Generalbundesanwalt trat überhaupt nur deswegen auf den Plan, weil eine andere Behörde – der Präsident des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen – eine Anzeige gegen unbekannt erstattet hatte. Weder hatte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) von der Anzeige gewusst, geschweige denn seinen Amtsleiter gestoppt, noch hatte Maas die Justiz aufhalten können.

CDU-Rechtsexperte Sensburg übt (Stil-)Kritik. Die Aufgabe des Ministers sei es, sich vor seine Beamten zu stellen, ihnen andernfalls frühzeitig intern Weisungen zu erteilen, aber „sie nicht nach Wochen über die Presse zu schelten“. Auch die Grünen halten ihm vor, er hätte Range früher stoppen sollen. In Wahrheit war der Minister nicht tatenlos. Hinter den Kulissen versuchte er die Fäden zu ziehen. Er machte Range vertraulich klar, dass er ein Verfahren für überzogen und unverhältnismäßig halte. Warum? Weil der konkrete Schaden für die Bundesrepublik durch den Geheimnisverrat nicht so groß wäre und weil die Pressefreiheit ein hohes Gut sei. Im politischen Idealfall hätte Range sich gebeugt; das Verfahren wäre nicht eröffnet worden. Außer Verfassungsschützer Maaßen hätte niemand davon Notiz genommen. Range blieb störrisch.

Nun verlegte sich der Politiker darauf, den Staatsanwalt auf die kalte Tour zu entmachten. Zum einen kündigte Maas eine Stellungnahme seines Hauses an. Zum anderen sollte ein unabhängiges Gutachten wegfallen. Range war pikiert. Das Vertrauensverhältnis war endgültig zerstört – genau damit begründete Maas den Trennungsstrich.