Berlin. Regierung hat die Sprengkraft der Ermittlungen gegen Blogger verkannt. Justizminister geht auf Distanz zu Range

Mit der Rückendeckung der Kanzlerin geht Justizminister Heiko Maas (SPD) klar auf Distanz zu Generalbundesanwalt Harald Range. Ob der denn noch das „uneingeschränkte Vertrauen“ des Ministers habe? Ein Sprecher des Ministeriums traute sich gestern darauf schon keine Antwort mehr. Die Behörde geriet in Zugzwang, als der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, Anzeige erstattete. Range nahm, wie beabsichtigt, Ermittlungen wegen Landesverrats auf. Im Visier: Journalisten von Netzpolitik.org.

Seither steht er massiv in der Kritik. Wenn die Pressefreiheit betroffen sei, müssten Behörden eine „besonders sensible Abwägung“ vornehmen, ließ gestern Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erklären. Die Belehrung galt Range. Der 67-Jährige wirkt häufig politisch unbeholfen und hat als FDP-Mann keine Lobby in der Regierung.

Merkels Tadel lenkt davon ab, dass ihre Regierung die Tragweite des Verfahrens übersehen hat, zumindest Innenminister Thomas de Maizière (CDU). Der war ahnungslos und setze gestern aus dem Urlaub heraus eine telefonische Schaltkonferenz mit den Spitzen seines Hauses an: Manöverkritik, Schadensbegrenzung.

Hinter vorgehaltener Hand wird in Geheimdienstkreisen seit Monaten Klage geführt über die Indiskretionen im politischen Raum, von Maaßen auch öffentlich. „Er ist der Einzige, der sich wehrt“, erzählt uns ein hochrangiger BND-Mann. Erbost war Verfassungsschützer Maaßen, als Netzpolitik.org im Frühjahr darüber berichtete, dass 75 neue Stellen in seinem Amt für die Online-Überwachung eingeplant waren. Geheim eingestufte Papiere waren durchgestochen worden. Kein Einzelfall. So geht es seit Monaten.

Als Dienstherr musste Maaßen auf den Plan treten und nach undichten Stellen suchen. Er erstattete Anzeige und leistete sich auch im Ministerium keinen Formfehler: Korrekt weihte er Innen-Staatssekretärin Emily Haber in seine Pläne ein. Allerdings hat er sie nur am Rande einer Besprechung zu einem anderen Thema informiert; so beiläufig, dass sie der Sache nicht nachging und den Minister auch nicht informierte. Es sah nach Routine aus.

Das Berliner Landeskriminalamt, wo Maaßen Anzeige erstattete, wollte sofort wissen, ob es denn um die Verletzung von Dienstgeheimnissen oder um Landesverrat gehe. Bei einem Verdacht eines Landesverrats ist der Generalbundesanwalt zuständig. Für Maaßen, der die Dokumente als geheim eingestuft hatte, ging es um Landesverrat. Die Berliner waren den Fall los. Nun war es also an Range, einen Anfangsverdacht zu prüfen.

Landesverrat liegt vor, wenn die Gefahr eines äußeren Nachteils für die Sicherheit der Bundesrepublik besteht. Das ist ein Hebel, um eine Anzeige auch tief zu hängen. So hätte es Justizminister Maas gemacht. Aber Range entschied sich anders. Er eröffnete ein Verfahren gegen die einzigen Leute, die ihm bekannt waren: die Journalisten. Die undichten Stellen beim Amt, in der Regierung oder im Parlament sollte er schließlich erst noch ermitteln. Längst ist klar, durch wie viele Hände die Papiere gingen. Es waren viele, eine dreistellige Zahl. Die Sache sei „eine Angelegenheit der Justiz“, sagt Maaßen. Er hat es darauf angelegt, den Fall ganz oben anzusiedeln. Wie aufgebracht er über Indiskretionen war, zeigte sich bei einem Symposium Anfang Mai. Die Dienste sollten „sturmreif geschossen werden“. Die Dauerkritik führe zu einer Diskreditierung, und es drohe ihre Isolierung. Wenn man diese Argumentation zum Maßstab nimmt, dann gibt es keinen Zweifel, dass Maaßen die Sicherheit für gefährdet hielt. Was sonst, wenn die Partner die Deutschen schneiden und ihnen Informationen vorenthalten?

Das Verfahren hatte Range schon am 13. Mai eingeleitet

Das Innenministerium betrieb keine Motivforschung. Es ist unklar, wann de Maizière von der Anzeige Wind bekam. Das Kanzleramt erfuhr es erst vergangene Woche – aus den Medien. Das Verfahren hatte Range schon am 13. Mai eingeleitet. Maas wurde am 29. Mai unterrichtet und war sofort alarmiert. Er ließ Range wissen, dass er Zweifel daran habe, ob die Journalisten die Absicht verfolgt hätten, Deutschland zu schaden. Der Minister kann ihm nur eine Weisung erteilen, wenn er rechtswidrig vorgeht.

In dieser Woche wird Maas aber Range eine Stellungnahme zukommen lassen. Wieder ein Wink. Inzwischen ruht das Verfahren. Range, nur er, kann ihm ein Ende bereiten. Der Druck ist groß. Alle wenden sich ab: Maas, Merkel. Aus dem politischen Raum wird sein Rücktritt gefordert. Gestern schalteten Hacker zu allem Unglück auch noch seine Homepage aus.