Berlin. Zahl der Nein-Sager ist gestiegen: Vier aus der SPD, 60 aus der Union sind gegen neue Verhandlungen über weitere Griechenland-Hilfe.

Er könne auch große Reden halten, „wie leicht alles geht“, sagt Wolfgang Schäuble. Damit will er allerdings nicht dienen. Was ihn umtreibt, „was mich wirklich quält“, sagt der CDU-Politiker und Finanzminister der Großen Koalition, sei, eine Lösung für Griechenland zu finden, „von der ich überzeugt bin, dass sie funktionieren kann“. Es ist ein schwieriger Weg, der ihm in den nächsten, vermutlich vier Wochen bevorsteht, nachdem der Bundestag ein Mandat für Verhandlungen erteilt hat: Für den „letzten zähen Versuch“, wie er und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) werben. Das könnte schon deshalb wahr sein, weil gestern 119 Abgeordnete mit Nein votiert haben, vier aus der SPD, 60 aus der Union. Fünf Christdemokraten enthielten sich, sodass insgesamt 65 nicht der Partei- und Koalitionslinie gefolgt sind. Viel mehr, als vermutet worden war.

An der Mehrheit ändert es dennoch nichts – bei 439 Ja-Stimmen. Bloß: Mehr als jeder fünfte Abgeordnete aus Merkels Reihen stimmte mit Nein.

Bei den Grünen schwamm Hans-Christian Ströbele gegen den Strom, bei der SPD Peer Steinbrück, ihr früherer Kanzlerkandidat und Finanzminister. Mit einem dritten Hilfspaket erkaufe man sich nur Zeit; und ein viertes Programm vor der Bundestagswahl im Herbst 2017 erscheine ihm „wahrscheinlich“. Steinbrück wäre für einen Grexit, für den Ausstieg aus der Euro-Zone, den Schäuble den Griechen nahelegt. Ähnlich klang zuletzt Oskar Lafontaine, der nicht mehr im Bundestag sitzt. Zwei ehemalige und ein amtierender Finanzminister – in dieser Frage vereint skeptisch.

Schäuble verzweifelt an den Griechen und die SPD an ihm

Für Schäuble geht es darum, dass Griechenland wettbewerbsfähig wird, was nur mit weniger Korruption, weniger Steuerflucht und weniger Klientelpolitik gelingen kann, wie Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) weiß. Die Athener Regierung soll Strukturreformen auf den Weg bringen.

„Das war schon die Position vor fünf Jahren“, erinnert Schäuble. „Wenn wir das alles nicht erreichen“ – weiter kommt er nicht. Der SPD-Finanzexperte Carsten Schneider fällt ihm ins Wort, ruft dazwischen: „Wir wollen es aber erreichen.“

In dem Wortwechsel steckt das Dilemma der Großen Koalition. Schäuble verzweifelt an den Griechen und die SPD an einem Finanzminister, der nicht ins Gelingen verliebt ist. Als Merkel ihren Minister lobt und die Union nahezu eine Minute lang Beifall klatscht, herrscht in den SPD-Reihen kühles, missbilligendes Schweigen. Peer Steinbrück von der SPD war es übrigens am Vorabend intern ähnlich ergangen. Fraktionschef Thomas Oppermann wird später im Bundestag zu Protokoll geben: „Jetzt gilt Plan A, und alle in der Regierung müssen mitziehen.“ Schäuble ist gewarnt.

Auch die Linkspartei knüpft sich den Minister vor. „Herr Schäuble, es tut mir leid, aber Sie sind dabei, die europäische Idee zu zerstören“, sagt Fraktionschef Gregor Gysi. Seine Amtskollegin von den Grünen, Katrin Göring-Eckardt, bekennt, „es war nie so schwierig, Ihnen Verhandlungen anzuvertrauen“. Jede Stimme ihrer Fraktion sei eine gegen den Grexit und eine Missbilligung von Schäubles bisheriger Verhandlungsführung. Er lässt die Kritik an sich abperlen: „Ich bin so abgehärtet – in einem langen politischen Leben“, bemerkt er nur.

Für die SPD war es wichtig, dass in Brüssel Deutsche und Franzosen doch noch an einem Strang gezogen haben. Der Eindruck, „dass nur Deutschland Europa führt, der tut nicht nur Europa nicht gut. Sondern auch Deutschland nicht“, sagt SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel. Merkel stimmt zu und geht noch einen Schritt weiter: „Auf Dauer geht es Deutschland nur gut, wenn es auch allen in Europa gut geht.“ Einschließlich Griechen.

Völlig unaufgeregt hatte die Kanzlerin an ihrem 61. Geburtstag die Debatte eröffnet. Die Griechen bekämen Geld nur gegen Auflagen: „Leistung gegen Leistung.“ Die Alternative wäre nicht eine geordnete Auszeit, sondern „Chaos“. Sie wisse um die Zweifel und Sorgen, aber: „Wir würden grob fahrlässig handeln, wenn wir diesen Weg nicht wenigstens versuchen würden.“ Was sie einen „letzten Versuch“ nennt, halten Kritiker wie Klaus-Peter Willsch (CDU) für ein „Fass ohne Boden“. Zwei Programme wurden für Griechenland bisher schon aufgelegt, und beide waren „erwiesen erfolglos“. Krisenmanagement als Endlosschleife?

Das dritte Programm soll nun 86 Milliarden Euro umfassen, manche erwarten mehr, fast 100 Milliarden. So oder so – „eine nie gekannte europäische Solidarität“ (Merkel). Sie rechtfertigt, dass Griechenland einen Privatisierungsfonds errichten und sich sehr strengen Überprüfungen unterziehen muss. „Denn wir wissen; Zusagen sind das eine, Taten das andere“, so die Kanzlerin, „es reichen bloße Absichtserklärungen nicht.“

Schäuble hält Härten für vertretbar. Die Bemerkung, „die muss sein“, setzt er an. Griechenland habe den höchsten Verwaltungsaufwand in der EU und ein höheres Rentenniveau als viele Staaten, so Schäuble.

Merkel über das Referendum: „Ergebnis war ein Scherbenhaufen“

Merkel hatte zuvor allen in Erinnerung gerufen, wie die Links-Regierung von Alexis Tsipras mit dem Versprechen an die Macht gekommen war, die Sparpolitik zu beenden, ohne den Euro-Raum zu verlassen. Beides hatte er seinen Wählern versprochen, und es war „offensichtlich, dass sie in einem gewissen Widerspruch zueinander standen“. Für Merkel war es wichtig, dass er damit nicht durchkam; dass Verträge gelten und auch Wahlen sie „nicht einfach für null und nichtig erklären können“. Dass Tsipras ein Referendum zur Sparpolitik abhielt und sein Volk auch noch zum „Nein“ ermunterte, hat die Kanzlerin richtig erzürnt. „Es ist offenkundig: Das Ergebnis war ein Scherbenhaufen.“