Havanna. Gestärkt von dem Erfolg bei den Atomverhandlungen mit dem Iran in Wien, reist Außenminister Steinmeier in die Karibik. Auch dort tun sich Chancen auf

Sie ist fast 500 Jahre alt, sieht ziemlich mitgenommen aus und ist trotzdem eine der größten Touristenattraktionen der Karibik: die Altstadt der kubanischen Metropole Havanna. Am Donnerstagmorgen dienen die bröckelnden Fassaden des Unesco-Weltkulturerbes als Kulisse für den Beginn einer ganz besonderen diplomatischen Mission von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Für die deutsche Spitzendiplomatie war Kuba bisher noch unberührtes Terrain. Steinmeier ist der erste Außenminister der Bundesrepublik in Havanna. Sein Besuch ist vor allem eine Entdeckungsreise in ein Land im Aufbruch. Deutschland und Kuba wollen ihre Beziehungen auf eine neue Grundlage stellen.

Von der Altstadt von Havanna bekommt Steinmeier nur die Schokoladenseite zu sehen. Die sanierten Kolonialpaläste um die Plaza de Armas (Waffenplatz) und die Plaza Vieja (Alter Platz), die schicken Restaurants und Cafés in der Calle Mercaderes.

Aber nur wenige Straßen von hier ist am Tag vor der Ankunft des Außenministers ein baufälliges Haus eingestürzt – leider kein Einzelfall in Havannas Altstadt. Vier Menschen kamen dabei um, darunter ein drei Monate altes Baby, drei weitere wurden verletzt.

Kuba ist ein Land der Widersprüche. Durch Havanna fahren zwar noch amerikanische Straßenkreuzer aus der Zeit vor der Revolution von 1959. Zunehmend werden sie aber von Kleinwagen aus europäischer oder asiatischer Produktion überholt.

Auf der Plaza de Armas verkaufen wie eh und je Trödler Bücher über die Revolutionshelden Che Guevara und Fidel Castro und ihren Kampf gegen den US-Imperialismus. Inzwischen ist der Kalte Krieg mit den nur gut 100 Kilometer entfernten Vereinigten Staaten aber beendet. In den nächsten Wochen wollen beide Staaten ihre diplomatischen Beziehungen wieder aufnehmen.

Es gehe darum, die „Zeiten der Sprachlosigkeit und der Entfremdung“ zu beenden, sagt Steinmeier. Er hebt den Austausch von Kulturschaffenden als wichtigstes Ziel hervor. Gleichzeitig betont er, dass Differenzen bleiben würden. „Wir werden unterschiedlicher Meinung bleiben über die Bedeutung der Menschenrechte, über die Inhalte von Demokratie.“ Trotzdem müsse man sondieren, „was miteinander möglich ist“. Dafür hat er sich seine 33 Stunden auf Kuba mit Gesprächsterminen vollgepackt: vier Minister, vielleicht auch Präsident Raúl Castro, der Erzbischof von Havanna, Künstler, Blogger, Wissenschaftler und sogar Sportler. In den Jahren 2000 und 2001 hatte bereits die damalige rot-grüne Bundesregierung eine ähnliche Annäherung an Kuba versucht. Damals reisten Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) und Wirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) nach Havanna, parlierten stundenlang mit Präsident Fidel Castro und kamen mit Zigarren für den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zurück.

Zu einer Normalisierung der deutsch-kubanischen Beziehungen führte das aber nicht. 2003 inhaftierte die kubanische Regierung 75 Oppositionelle und läutete damit eine neue Eiszeit ein. Seit der Übergabe der Regierungsgeschäfte von Fidel an Raúl Castro ab 2008 entspannte sich die Lage langsam wieder.

Es folgte eine schrittweise Öffnung des Landes, zu der die Freilassung von Gefangenen und vorsichtige Wirtschaftsreformen zählen. Das eigentliche Aufbruchssignal gab aber US-Präsident Barack Obama mit seinem Kurswechsel in der Kubapolitik und seinem Satz: „Todos somos americanos“ – „Wir sind alle Amerikaner“. Seit der kubanischen Revolution waren die Beziehungen zwischen Havanna und Washington gekappt. Nun hat Obama Kuba von der US-Liste der Terrorunterstützer gestrichen und so die Normalisierung der Beziehungen möglich gemacht.

Steinmeier hat es gerade noch geschafft, vor US-Außenminister John Kerry in Havanna zu landen, der hier bald die amerikanische Botschaft eröffnen will. Zunächst geht es darum, Vertrauen zu schaffen und mit zwei Grundlagenabkommen den Weg für eine engere Zusammenarbeit zu ebnen.

Viele EU-Staaten haben längstAbkommen mit Havanna geschlossen

Der Außenminister wird von einer kleinen Wirtschaftsdelegation begleitet. Der Handel zwischen beiden Ländern ist noch überschaubar. Bei den deutschen Exporten lag Kuba 2014 auf Platz 101, bei den Importen auf Platz 125. Auch ein seit 2003 geplantes Kulturabkommen ist bislang an politischen Differenzen gescheitert. Ein Goethe-Institut gibt es deshalb in Havanna noch nicht.

Die Avantgarde Europas ist der deutsche Außenminister in Kuba allerdings nicht. Viele EU-Staaten haben längst Abkommen mit Havanna geschlossen, und es gab auch schon einige hochrangige Besuche. Zuletzt war im Mai der französische Präsident François Hollande da.

Der traf sich auch mit Fidel Castro, dem „Máximo Líder“ der kubanischen Revolution. Steinmeier verzichtete darauf, wegen eines Treffens mit dem 88-Jährigen anzufragen. Der Blick nach vorne ist ihm wohl wichtiger. Die Zigarren bekommt er ja vielleicht trotzdem – von Bruder Raúl.