Berlin. Finanzminister Schäuble steht am Pranger. Bundestag soll am Freitag über Aufnahme von Verhandlungen für drittes Hilfspaket entscheiden

Am Ende wird Angela Merkel doch noch gefeiert. Vom nächtlichen Verhandlungsmarathon nach Berlin zurückgekehrt, gab es für sie im CDU-Vorstand gestern Vormittag langen Applaus als Anerkennung für die Griechenland-Verhandlungen. „Die Vereinbarung ist weitaus strenger und weitgehender als alles, was wir vorher diskutiert haben“, lobte CDU-Generalsekretär Peter Tauber. In der Aussprache stärken die Vorständler Merkel fast durchweg den Rücken. Doch so harmonisch wird es kaum bleiben: Die für Freitag geplante Bundestags-Entscheidung über den Start der Detail-Verhandlungen wird für die Kanzlerin noch einmal zur Bewährungsprobe. In der Unionsfraktion wird Kritik laut, und in der SPD gibt es teilweise Verstimmung über Finanzminister Wolfgang Schäuble – für die Opposition ist Schäuble sogar untragbar geworden.

Das Signal zur Bundestags-Sondersitzung in der Sommerpause erreichte die meisten Abgeordneten gestern Nachmittag; bereits am Donnerstag soll der Haushaltsausschuss beraten. Deutschland ist das einzige Euro-Land, dessen Parlament bereits der Aufnahme von Verhandlungen über das neue Hilfspaket zustimmen muss – den förmlichen Marschbefehl erhalten die Abgeordneten aber erst, wenn das griechische Parlament bis Mittwoch die vereinbarten Vorbedingungen erfüllt hat.

Eine Parlamentsmehrheit für das Paket ist in Berlin sicher, eine eigene Koalitionsmehrheit ebenso. Merkel kann auch diesmal darauf verzichten, die Vertrauensfrage zu stellen. Rhetorisch stapelt sie sogar tief: Während Gabriel von einer bestandenen „Bewährungsprobe Europas“ spricht, versichert die Kanzlerin, die Verständigung sei „nichts Besonderes“, auch für andere Euro-Staaten seien schon Hilfspakete geschnürt worden.

Das wird die Kritiker in der Unionsfraktion kaum beruhigen. Schon bei den Entscheidungen über das zweite Hilfspaket versagten zuletzt rund 30 Unionsabgeordnete die Zustimmung, dieses Mal werden es noch einige mehr sein. Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach etwa wird wieder mit Nein stimmen: „Mit den neuen Hilfen wird nur etwas Zeit gekauft, der deutsche Steuerzahler trägt dafür das hohe Risiko“, klagt Bosbach. Bestärkt werden die Kritiker vom Bund der Steuerzahler, der den Bundestag zur Ablehnung auffordert: Die Einigung bürde den Steuerzahlern weitere Risiken auf. Dabei hafte schon jetzt jeder Arbeitnehmer mit 2800 Euro für die Finanzhilfen an Athen, die Griechenland nie vollständig zurückzahlen werde.

Das Problem: Die in Aussicht gestellten Hilfszahlungen sind mit bis zu 86 Milliarden Euro für die nächsten drei Jahre noch viel höher als vor dem Wochenende diskutiert; und für alte Schulden wird es wohl Tilgungsaufschub und längere Laufzeiten geben, was in der Praxis ein weiterer Schritt hin zu dem von Merkel abgelehnten Schuldenerlass ist. Die Kanzlerin, die einen Ausstieg Griechenlands aus dem Euro unbedingt vermeiden wollte, betont aber, die Vorteile würden überwiegen: Griechenland müsse vor den Verhandlungen zentrale Beschlüsse umsetzen, der Internationale Währungs- fonds (IWF) bleibe im Boot, die in Athen verhasste Troika kehre zurück, einen Schuldenschnitt werde es nicht geben, zählen Vertraute die Erfolge auf. Und dann ist da noch der von der Bundesregierung geforderte, am Ende etwas abgemilderte Treuhandfonds zur Privatisierung von griechischem Staatsvermögen. In der Union sieht man die Einigung als Erfolg deutscher Taktik. Schäuble habe mit seinem umstrittenen Papier für einen zeitweisen Ausstieg Griechenlands aus dem Euro jenen Druck aufgebaut, der Merkel eine Einigung erleichtert habe, heißt es in der CDU-Spitze.

In der SPD wird Schäubles Rolle kritischer bewertet. Zwar sind führende Sozialdemokraten voll des Lobes über das Verhandlungsergebnis, die Zustimmung der SPD-Fraktion ist sicher: „Europa hat die Spaltung verhindert“, sagt Parteichef Gabriel. Die Bedingungen für Athen seien relativ hart, aber anders seien die Hilfen nicht verantwortbar gewesen. SPD-Haushaltsexperte Johannes Kahrs spricht von einem „wirklich guten Kompromiss“, der sicherstelle, dass Griechenland im Euro bleiben könne. Das, versichert Gabriel, sei immer das Ziel gewesen – Schäubles Papier für den zeitweisen Grexit sei mit ihm nicht abgestimmt gewesen. Dass der Finanzminister einen anderen Eindruck verbreite, sei „ein böses Foul“, das unter anderen Umständen ein Nachspiel gehabt hätte, heißt es in der SPD. Doch wollen die Sozialdemokraten den Streit auch nicht auf die Spitze treiben. Am Ende zählt das Ergebnis: „In solchen Verhandlungen wird eben auch mal gepokert“, sagt Haushälter Kahrs. Von der Opposition hagelt es dagegen scharfe Kritik an Schäubles Kurs: Der Finanzminister habe mit seinem Vorstoß Griechenland demütigen wollen, Gabriel habe ihn dabei noch unterstützt, klagt Grünen-Chef Cem Özdemir. Der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger schimpft, Schäuble habe mit seinem Vorstoß die EU gespalten, er sei für weitere Verhandlungen nicht mehr tragbar.

So sehr Schäubles Kurs die Opposition erzürnt, Merkel dürfte er helfen, die eigenen Reihen im Bundestag zu schließen. Sie werde dem Parlament „aus voller Überzeugung“ die Zustimmung zu Verhandlungen empfehlen, sagt die Kanzlerin. Rasche Erfolge verspricht sie nicht: „Es wird für Griechenland ein langer, mühsamer Weg.“