Berlin. Die Verhandlungen mit dem Iran ziehen sich in die Länge. Eine Welt ohne Nuklearwaffen ist weiter nicht in Sicht

Ernüchterung statt Jubelfeier: Die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm ziehen sich weiter in Länge, für Sonnabend sind neue Gespräche auf Ministerebene in Wien geplant. Schon kursieren erste Schuldzuweisungen für den Fall des Scheiterns. Doch auch wenn es mit Verzögerung noch zu einer Verständigung kommen sollte, dass Iran nicht unter dem Deckmantel seines zivilen Atomprogramms Atombomben baut – ein Signal für die atomare Abrüstung in der Welt wäre es nicht. Denn so oder so, die Zeit der nuklearen Bedrohung ist nicht vorbei, im Gegenteil: „Alle Staaten mit Atomwaffen scheinen entschlossen, ihre Arsenale auf unbestimmte Zeit zu behalten“, beklagt das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri.

Die Bundesregierung spricht kritisch von einer „Stagnation“ bei der nuklearen Abrüstung. Dringend nötigte Fortschritte würden durch die Ukraine-Krise erschwert, heißt es im aktuellen Rüstungskontrollbericht. Und der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich sagt: „Es wird wieder aufgerüstet. Eine Welt ohne Atomwaffen ist weiter nicht in Sicht. Im Gegenteil: Alle Atommächte sind dabei, neue Systeme für den Einsatz von Kernwaffen zu entwickeln oder haben solche Programme bereits.“

So tauscht Russland derzeit sein Arsenal an Interkontinentalraketen aus, wendet dafür ein Drittel seines wachsenden Militärbudgets auf. Indien und Pakistan bereiten sich auf einen atomaren Rüstungswettlauf vor, China investiert massiv in seine Zweitschlagsfähigkeit. Die Gefahr eines Atomkonflikts in Asien wachse, fürchten die Sipri-Forscher. Und die USA wollen im nächsten Jahrzehnt 350 Milliarden Dollar in die Modernisierung ihrer Atomwaffen stecken: in neue Interkontinentalraketen, Bomber und U-Boote.

Auch Deutschland ist betroffen: Die etwa 20 US-Atombomben auf dem Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz sollen ebenfalls modernisiert werden. Vorbei die Zeit, als die Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Guido Westerwelle (FDP) offensiv den Abzug dieser letzten Atomwaffen aus Deutschland forderten. „Es ist ein Ziel, das wir kurzfristig nicht erreichen können“, sagt Steinmeier nun, das Thema sei aber nicht aufgegeben. Die Opposition ist empört. „Von Steinmeier bin ich schwer enttäuscht“, sagt die Grünen-Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger. Außenminister und Regierung forderten international Abrüstung, duckten sich bei der Frage der Waffen im eigenen Land aber weg. Dabei war die Hoffnung nicht nur in Deutschland einmal groß: Nach dem Ende des Kalten Kriegs hatten die USA und Russland ernsthaft begonnen, Atomwaffen zu verschrotten. 2009 stellte Barack Obama, frisch gewählt als US-Präsident, die Vision einer atomwaffenfreien Welt vor. Ein Jahr später unterzeichneten er und Russlands Präsident Dmitri Medwedew einen New-Start-Vertrag zur Reduzierung von Atomwaffen. Bis 2018 soll die Zahl der einsatzbereit gehaltenen Gefechtsköpfe auf jeweils 1550 reduziert werden.

Die Zahl der Sprengköpfe ist in den vergangenen fünf Jahren tatsächlich um gut ein Viertel gesunken. Doch die Waffen werden zwar weniger, aber moderner, die Risiken nehmen zu. Weltweit existieren nach Sipri-Angaben noch 15.800 nukleare Sprengköpfe von neun Staaten. Über die mit Abstand größten Arsenale verfügen die USA (7260 Sprengköpfe) und Russland (7500), die zusammen mit China (260), Frankreich (300) und Großbritannien (215) zu den offiziellen Nuklearmächten zählen. Im Besitz von Atombomben sind aber auch Indien (110), Pakistan (120), Israel (80) und Nordkorea (zehn). Und mehr als 40 Staaten sind industriell oder wissenschaftlich in der Lage, eine Bombe zu bauen. Von der eigentlich vereinbarten langfristigen Auflösung der Kernwaffenlager, zu der sich die fünf offiziellen Atommächte verpflichtet haben, ist wenig zu sehen.

Stattdessen bleibt die nukleare Option für die Staaten „fest verankertes Element des strategischen Kalküls“, wie Sipri-Forscher klagen. Oft sollen die Bomben auch Lücken in der konventionellen Bewaffnung ausgleichen. Russland etwa hat bereits Anfang des Jahrtausends begonnen, atomare Schläge wieder in seine Militärdoktrin einzubauen. Viele militärische Übungen haben seitdem begrenzte Atomwaffen-Einsätze simuliert, einmal auch auf Polen. Präsident Wladimir Putin hat erklärt, er sei bereit gewesen, während der Krim-Krise Atomwaffen einzusetzen. Schon drohen die USA deshalb mit der Stationierung atomar bestückter Cruise Missiles in Europa.

Ukraine hatte 1994 Sprengköpfe aus Sowjetbeständen freiwillig verschrottet

Die Ukraine-Krise macht Experten auch wegen ihres Signalcharakters Sorgen: „Hätte Putin es gewagt, die Krim zu besetzen, wenn die Ukraine noch ihre Atomwaffen besessen hätte?“, überlegt etwa SPD-Außenexperte Mützenich: Die Ukraine hatte 1994 rund 1000 Sprengköpfe aus früheren Sowjetbeständen freiwillig verschrottet, im Gegenzug garantierten USA, Großbritannien und Russland die territoriale Integrität der Ukraine. Diese Garantie sei das Papier nicht mehr wert, klagt Mützenich. Atommächte würden durch das Schicksal der Ukraine kaum ermutigt, Bomben zu verschrotten. Und Anwärter einer Nuklearbewaffnung könnten daraus die Lehre ziehen, besser nicht auf die Aufrüstung zu verzichten.