Wien . Irans Verhandlungen mit den fünf Uno-Vetomächten plus Deutschland überraschend verlängert. Eine Zwischenbilanz

Die Atomverhandlungen der internationalen Gemeinschaft mit dem Iran werden noch einmal um einige Tage verlängert. „Wir werden in den kommenden Tagen weiterverhandeln“, sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am Verhandlungsort in Wien. Eine bereits mehrmals verlängerte Frist für eine Einigung sollte am Dienstag um Mitternacht auslaufen. Eine neue Deadline nannte sie nicht. „Wir interpretieren die Frist flexibel“, fügte sie hinzu. „Wir nehmen uns die Zeit, die wir brauchen.“

Der Iran verhandelt mit der 5+1-Gruppe – das sind die Uno-Vetomächte USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich sowie Deutschland – über eine Begrenzung seines Atomprogramms. Es geht darum, dass der Iran keine Atombombe entwickeln kann. Teheran will seinerseits die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen erreichen.

Neben Israel wollte der Iran bei der Atomtechnik als einziges Land im Nahen und Mittleren Osten von Anfang an dabei sein. Bereits Ende der 50er-Jahre unterzeichnete seine Führung einen Kooperationsvertrag mit den USA. 1967 bekam Persien den ersten Reaktor, die Versuchsanlage in Teheran, in der radioaktive Isotope für die Strahlentherapie herstellt werden, und die bis heute in Betrieb ist. Ende der 60er-Jahre köderte Schah Reza Pahlevi mit Milliardenverträgen Firmen aus den USA, Frankreich und Deutschland, die ihm 23 Atommeiler bauen sollten. Kernenergie zu besitzen sei ein nationales Recht, argumentierte der Herrscher auf dem Pfauenthron. 1970 ratifizierte er den Atomwaffensperrvertrag und unterstellte seine Nation damit der Aufsicht der Wiener Atombehörde IAEA.

Vier Jahre später jedoch rutschte ihm eine Bemerkung heraus, die in Washington Alarm auslöste. Iran werde Atombomben haben „ohne jeden Zweifel und schneller, als mancher denkt“, brüstete sich der Diktator in einem Interview und ließ seinen damaligen Atomchef Akbar Etemad erklären, keine Nation habe das Recht, einer anderen ihre Nuklearpolitik zu diktieren. Den damaligen US-Präsidenten Gerald Ford und Jimmy Carter war schnell klar, der Monarch wollte über eine eigene Wiederaufbereitungsanlage Plutonium aus abgebrannten Brennstäben extrahieren und so an seine Bombe kommen. Jahrelang verhandelten die USA mit dem Iran, um sich eine friedliche Nutzung garantieren zu lassen. Im Sommer 1978 war der Vertrag endlich paraphiert. Wegen der Islamischen Revolution und dem Sturz des Schahs jedoch kam er nicht mehr zustande.

Die neue Führung um Ayatollah Ruhollah Chomeini zeigte zunächst wenig Interesse an dem Atomthema. Am Persischen Golf stand der von Deutschen begonnene, halb fertige Reaktor Bushehr. Nachdem die Anlage 1985 im irakisch-iranischen Krieg bombardiert worden war, ließ man die Ruine liegen. Erst Mitte der 90er-Jahre nahm Teheran die Konstruktion mit russischer Hilfe wieder auf. Fast 20 Jahre später wurde der Reaktor schließlich im Juli 2011 an das Stromnetz angeschlossen.

Auch wenn Staatsgründer Chomeini stets versicherte, alle Massenvernichtungswaffen seien mit der islamischen Religion unvereinbar, kam es bei seinen Gefolgsleuten schon bald zu einem Sinneswandel bei der militärischen Nutzung der Atomtechnik. Auslöser war das Trauma des irakisch-iranischen Krieges – eine halbe Million Tote und Zehntausende durch irakisches Giftgas verstümmelte Veteranen, die bis heute auf den Straßen der Islamischen Republik zu sehen sind. Gegen Ende des Krieges traf sich in der Stadt Kerman der damalige Chef der Revolutionären Garden, Mohsen Rezai, mit einem der führenden Kernphysiker des Landes. Wie sich der Experte erinnerte, sagte ihm Rezai damals, der Iran müsse sich mit allem bewaffnen, was für einen Sieg erforderlich sei – „auch eine Atombombe, wenn das nötig ist“. Andere Kommandeure versicherten dem Forscher, der 1992 seiner Heimat den Rücken kehrte, die nötigen Haushaltsmittel stünden bereit.

Wohin die Reise ging, brachten 2002 Exiliraner ans Licht. In Natanz war eine geheime Anlage zur Urananreicherung entstanden, neben der Plutoniumextraktion der zweite Weg, um eine Atombombe zu bauen. 2009 erfuhr die Öffentlichkeit von einer zweiten geheimen Anlage in Fordo, versteckt unter Felsen nahe der heiligen Stadt Qom. Verfügte der Iran anfangs über 200 Zentrifugen, sind es heute über 20.000. Inzwischen hat das Land das Know-how, Uran bis auf 20 Prozent anzureichern, ein Niveau, von dem aus sich eine waffenfähige Konzentration von 90 Prozent leicht realisieren lässt. Auch auf der Plutonium-Seite, dem einst vom Schah favorisierten Weg zur Bombe, macht die Islamische Republik seit Jahren große Fortschritte.