Berlin. Die 40-jährige Frauke Petry führt jetzt die AfD. Rechtsruck statt Anti-Euro-Kurs und Wirtschaftskompetenz

Das hat schon was: Eine junge Frau, 40 Jahre alt, Mutter von vier Kindern, promovierte Chemikerin, kurze Haare, ist die Chefin von einem Verein, in dem ältere und unzufriedene Männer gegen den Zeitgeist polemisieren. Und diese Männer haben diese Karrierefrau nicht nur an die Spitze gewählt, weil sie vielleicht mehr Aufmerksamkeit bei den Medien bekommt. Sondern sie scheinen auch was von ihr zu halten.

Alexander Gauland, 74, kann sich noch genau an sein erstes Gespräch mit Frauke Petry erinnern. Das war im Frühjahr 2013 in Leipzig, und er nahm die Sächsin damals schon als „klug und charmant“ wahr. Sie könne gut formulieren, sei sehr scharfsichtig und durchsetzungsstark. „Sie ist die Zukunft der Partei“, sagt er dem Abendblatt. Gauland, stellvertretender Vorsitzender der AfD, ist froh, dass Bernd Lucke am Wochenende auf dem Parteitag in Essen abgewählt wurde – und nun Petry an der Spitze steht. Als das Ergebnis verkündet wurde, 60 Prozent stimmten für Petry, riss er die Arme in die Höhe wie ein Tennisspieler nach dem Sieg.

Am wichtigsten ist für Gauland jedoch der Führungsstil der neuen Chefin. Petry wisse, „wie man mit Menschen umgeht“, sagt er. Unter Lucke habe der AfD-Vorstand ja zuletzt gar keine Rolle mehr gespielt. Petry sei im Vergleich zu ihrem Vorgänger auch nicht beratungsresistent. Sie sei „kein Autist“ wie Lucke.

Die AfD hat in Essen eine Entscheidung gefällt: Die Wirtschaftskompetenz ist nicht mehr so wichtig. Auch wenn Petry und Gauland das abstreiten. Der Hamburger Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke nicht mehr Chef, Hans-Olaf Henkel, früher mächtiger Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), hat seinen Austritt aus der AfD verkündet. Die Partei hat im Grunde ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Flügel amputiert. Das wirkt besonders in diesem Sommer seltsam: Die Griechenlandkrise kocht – und die AfD verabschiedet sich von ihren ökonomischen Denkern.

Die Partei driftet nun nach rechts, ist offen für alle. Lucke war am Wochenende ausgepfiffen worden, als er davor warnte, deutsche Staatsbürger mit muslimischem Glauben durch rhetorische Angriffe auf den Islam auszugrenzen. Petry hingegen bekam viel Applaus, als sie sagte, dass der Islam mit dem demokratischen Selbstverständnis in Deutschland nicht zu vereinbaren sei. Mitmachen darf bei der AfD jetzt eigentlich jeder – ausgenommen Menschen, die offen mit dem Gedankengut der NPD sympathisieren. Und klar ist: Mit Frauke Petry wird die Partei auch ein Sammelbecken für Verschwörungstheoretiker, für Putin-Versteher und Anti-Amerikaner.

Ein Hinweis auf den Rechtsruck ist auch der Austritt von Henkel, dem die Pegida-nahe Geisteshaltung vieler Mitglieder zuwider war. Auch der politische Stil ekelt Henkel. „Ich bin nicht in eine Pöbelpartei eingetreten“, sagt er dem Abendblatt. Diese Pöbelei auf dem Parteitag in Essen sei „typisch für rechts außen – und auch für links außen“.

Mit den charakterlichen Unzulänglichkeiten von manchen Leuten aus dem alten Vorstand sei er allerdings auch schon vorher nicht zurechtgekommen, sagt er.

Henkel beteuert, sich immer ans Parteiprogramm gehalten zu haben. Anders habe sich zum Beispiel Gauland verhalten, der in Essen das Freihandelskommen mit den USA abgelehnt habe – und dafür eines mit Russland vorschlage. „Ich habe die Partei nicht verlassen, sie hat mich verlassen“, fasst Henkel zusammen.

Gauland freut sich über Henkels Austritt, auch wenn er im Vorstand gern mit ihm diskutiert habe. „Er ist nie in der AfD angekommen, und er gehört da auch nicht hin“, sagt Gauland über Henkel. Von daher sei der Austritt aus der Partei nur konsequent. „Ich bedaure seinen Abschied nicht.“

Luckes Abschied würde die Partei viel härter treffen als der Austritt Henkels. Das weiß auch Gauland. „Diese Entfremdung ist bedauerlich“, sagt er kühl. Wahrscheinlich möchte Gauland, dass Lucke in der Partei bleibt, damit er nicht eine neue gründet. Doch: „Die Partei wird auch ohne ihn weiterleben.“ Petry ist da etwas vorsichtiger. „Ich finde es schade, wenn er jetzt mit Getöse die Partei verlässt“, sagt sie am Montag im Deutschlandfunk. Es habe in den vergangenen Wochen viele Versuche gegeben, ihn von der Gründung einer neuen Partei abzuhalten.

Es scheint unwahrscheinlich, dass beide Strömungen in den Bundestag kommen

Die ersten Mitglieder fliehen, unter anderem wirft auch Bernd Kölmel hin, AfD-Landesvorsitzender in Baden-Württemberg. Auch wenn wohl noch nicht von einer Austrittswelle gesprochen werden kann, droht der Partei die Spaltung. Lucke und seine Anhänger denken an eine neue Partei. Die Europaparlamentarierin Ulrike Trebesius sagt, man werde die Mitglieder von Luckes Verein „Weckruf 2015“ in den nächsten Tagen fragen, ob sie gemeinsam aus der AfD austreten. Henkel weiß noch nicht, ob er bei einer neuen Partei dabei wäre. „Das hängt vom Parteiprogramm ab“, sagt er. „Die Erfahrung, die ich bei der AfD gemacht habe, möchte ich nicht noch einmal machen.“ Am Montagabend will Lucke mit Henkel in Straßburg essen gehen.

Es ist unwahrscheinlich, dass beide Strömungen – die national-konservative AfD und eine mögliche Anti-Euro-Partei von Ex-Partei-Chef Lucke – es bis in den Bundestag schaffen.