Catania . Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zieht bei Besuch der Seenot-Rettungsmission im Mittelmeer erste Bilanz

Es ist einer der ungewöhnlichsten Bundeswehreinsätze seit Jahren, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gerät vor der Küste Siziliens fast ins Schwärmen: „Ihr Dienst symbolisiert die Fähigkeit Europas zur Mitmenschlichkeit und Solidarität“, ruft sie den Soldaten an Deck der Fregatte „Schleswig-Holstein“ zu. Die Sonne scheint, das Meer liegt ruhig, eine leichte Brise weht, von der Leyen blickt auf die malerische Kulisse der Hafenstadt Catania.

Aber die Stimmung ist gedrückt. Auf diesem Deck kauerten erst vor zwei Wochen 522 Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten – verängstigt, erschöpft, viele auch krank, aus Seenot gerettet von der Besatzung der „Schleswig-Holstein“. Es war einer von bislang elf Einsätzen, seit die Bundeswehr-Mission zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer Anfang Mai begann: Insgesamt 5700 Menschen, die von Schleppern auf heillos überfüllten Holz- oder Schlauchbooten von Libyen aus auf die Reise nach Europa geschickt wurden, hat die Deutsche Marine seitdem an Bord genommen und in italienische Häfen gebracht. Insgesamt sind in diesem Jahr schon 137.000 Zuwanderer und Flüchtlinge registriert worden, die mit Booten in Italien oder Griechenland eintrafen.

Bei ihrer Kurzvisite in Sizilien am Sonnabend trifft sich die Ministerin erst mit Flüchtlingen, die schon länger in Italien leben, dann besucht sie die 316 Soldaten der deutschen Mission auf der „Schleswig-Holstein“ und dem Tender „Werra“. Was ihr die Bundeswehr-Angehörigen schildern, ist ein Wechselbad der Gefühle: Die Bergung der Flüchtlinge ist aufwendig und körperlich wie psychisch sehr anstrengend.

In Schlauchbooten werden die Schiffbrüchigen an Bord gebracht, die Soldaten müssen wegen der Infektionsgefahr auch bei größter Hitze Schutzanzüge tragen. Viele der Flüchtlinge leiden unter Krätze, Windpocken oder Tuberkulose. An Bord kommen gut gekleidete Menschen aus Syrien, mit Laptops und viel Bargeld, ebenso wie Habenichtse aus Afrika, berichtet der Obergefreite Rico. Auch Kinder ohne Begleitung bringen die Soldaten in Sicherheit und wenige Monate alte Säuglinge. „Das Gefühl, Leben zu retten, überwiegt am Ende alles“, sagt Oberbootsmann Matthias. Behandelt werden die Flüchtlinge „wie Gäste“, versichert Kontingentführer Thorsten Ma­the­sius. „Alle Soldaten sind stolz, diesen Auftrag zu bekommen. Sie haben ein Kriegsschiff zum Rettungsschiff umfunktioniert“, sagt der Kapitän zur See.

Allerdings: Der Charakter der Mission ändert sich gerade. Die beiden Bundeswehr-Schiffe sind seit wenigen Tagen Teil der neuen Operation EUNAVFOR Med, die die EU erst Ende Juni beschlossen hat und die neben der Seenotrettung nun auch den Kampf gegen die Schleuser zum Ziel erklärt. Im Seegebiet zwischen Italien, Libyen und Griechenland sollen die Soldaten in einer ersten Phase Informationen über die Netzwerke und Routen der Schleuser sammeln. Eigentlich ist vorgesehen, in einer zweiten Phase Schleuser-Schiffe aufzuspüren und zu überprüfen. In einer dritten Einsatz-Phase können die Boote sogar beschlagnahmt oder zerstört werden.

Vor allem die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat darauf gedrängt: Wenn nicht parallel zum Rettungseinsatz für Flüchtlinge gegen Schleuser vorgegangen werde, biete man ihnen falsche Anreize, warnte sie. Tatsächlich wird beobachtet, dass sich die Schleuser längst auf die größere Hilfsbereitschaft Europas verlassen: Die Flüchtlinge werden gleich hinter den libyschen Hoheitsgewässern sich selbst überlassen. Aber das Vorgehen gegen die Schleuser ist bislang nur Theorie: Für einen Einsatz in libyschen Hoheitsgewässern bräuchte die EU ein Mandat des Uno-Sicherheitsrats, das bisher am Veto Russlands scheitert, und eigentlich auch die Zustimmung der libyschen Regierung. Die sehr flexiblen, in losen Netzwerken organisierten Schleuser sind ohnehin nur schwer zu enttarnen; ihre Boote bauen sie selbst zusammen, an Nachschub herrscht deshalb kein Mangel.

Rettungsmission schenkt der Politik Zeit bei der Lösung des Flüchtlingsproblems

Für diese Mission haben deshalb neben Deutschland erst drei andere EU-Staaten Schiffe angemeldet; ohne die Bundeswehr wäre der Einsatz derzeit gar nicht möglich. „Wir wollen den Beweis erbringen, dass man sich auf uns verlassen kann“, sagt von der Leyen. Deutschland und andere EU-Staaten drängen aber darauf, sich vorerst lieber auf die Aufklärung zu konzen­trieren und nicht gewaltsam gegen Menschenhändler vorzugehen. Es gebe keinen „Automatismus“ für Phase zwei und drei, sagt von der Leyen. So bleibt es zunächst vor allem bei der Seenotrettung. Um die Ursachen der Flüchtlingswelle anzugehen, brauche es einen langen Atem. Bis dahin dürfe es aber keine humanitäre Katastrophe geben. Der Einsatz zur Seenot-Rettung, sagt von der Leyen, schenke daher der Politik Zeit, um die Probleme zu lösen.