Berlin. Staatsministerin Aydan Özogusüber Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und der EU

Europa erlebt derzeit die größte Flüchtlingswelle seit dem Zweiten Weltkrieg. Das Abendblatt sprach mit Aydan Özoguz, Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, über die Herausforderungen im Umgang mit Zuwanderern, Fremdenfeindlichkeit und ihren Wunsch nach einem Einwanderungsgesetz.

Hamburger Abendblatt: Frau Özoguz, Sie sind Tochter türkischer Kaufleute und in Hamburg geboren. Fühlen Sie sich in Deutschland manchmal fremd oder als Fremde behandelt?

Aydan Özoguz: Als Hamburgerin erfahre ich in Bayern schon mal Dinge, die mir fremd vorkommen – wie Lederhosen. Nein, im Ernst: Eher finden Leute meinen Namen fremd, weil sie ihn nicht aussprechen können.

Ihre Integration ist also sichtlich geglückt. Davon können manche Migranten und Flüchtlinge nur träumen. Seit Jahresbeginn gab es 175 Straftaten gegen Asylbewerberheime. Entwickelt sich eine neue Fremdenfeindlichkeit in Deutschland?

Özoguz: In Zeiten, wo weltweit Millionen Menschen auf der Flucht sind, steigt die Verunsicherung in der Bevölkerung. Das besorgt mich sehr, aber überrascht nicht. Nicht akzeptabel ist es, wenn Menschen Stimmung gegen die Schwächsten machen. Das verurteile ich scharf. Zum Glück sprechen sie nicht für die Mehrheit.

Was wollen Sie dagegen tun?

Özoguz: Aufklären und Gegendemon­stranten unterstützen, die Flüchtlinge nicht Rechtspopulisten überlassen wollen. Vor allem aber muss die Flüchtlingspolitik noch besser organisiert werden.

Was heißt dies konkret?

Özoguz: Wir brauchen ein Wohnungsbauprogramm. Genügend günstige Wohnungen für alle – sowohl für Flüchtlinge als auch für Bürger mit kleinem Geldbeutel. Container für Asylbewerber können nur ein Übergang sein, damit niemand auf der grünen Wiese schlafen muss. Wir brauchen zudem Sprachkurse für alle Asylbewerber, die eine Bleibeperspektive haben. Die Flüchtlinge sollen schnell Deutsch lernen, um sich früher in der Gesellschaft und den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Bedarf es angesichts der erwarteten 450.000 Flüchtlinge in Deutschland nicht eines kräftigen Investitionsprogramms, das über die versprochene eine Milliarde Euro vom Bund an die Länder hinausgeht?

Özoguz: Keiner geht davon aus, dass diese Summe ausreicht. Der Bund will die Länder deshalb künftig strukturell bei der Finanzierung der Unterbringung von Flüchtlingen unterstützen. Wir haben zudem ein fünf Milliarden Euro schweres Paket auf den Weg gebracht, um strukturschwache Regionen zu fördern. Wir wollen verhindern, dass Kommunen ihre Bücherhallen oder Schwimmbäder schließen müssen, weil sie so viel Flüchtlingsarbeit leisten.

Manche Städte sind aber offenbar schon überfordert. So musste in Dortmund ein Flüchtlingsheim geschlossen werden, weil es überfüllt war.

Özoguz: Die Herausforderung ist tatsächlich groß. Insbesondere Großstädte haben Probleme, Wohnraum zu finden. Ideal wäre es, die Menschen über die ganze Stadt zu verteilen.

Es gibt ja auch private Initiativen. So will der Gründer der Steakhaus-Kette, Eugen Block, sein Bürogebäude in Hamburg für die Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung stellen. Wie wichtig sind solche Ideen?

Özoguz: Es ist ein schönes Signal an die Flüchtlinge, willkommen zu sein. Es gibt auch einige Privatleute, die Flüchtlinge in ihrem Haus aufnehmen und sie begleiten. Es entbindet uns Politiker aber nicht aus der Verantwortung.

Über das Mittelmeer kamen bislang 173.000 Menschen nach Europa – ein Rekord. Schockiert es Sie, dass die EU sich bislang nicht auf eine Quotenregelung bei der Verteilung einigen konnte?

Özoguz: Mich schockiert nichts mehr. Betroffen macht mich, dass sich manche Länder aus der Verantwortung ziehen wollen. Wenn wir die Flüchtlinge auf alle EU-Länder gerecht verteilen würden, nach Größe und Wirtschaftskraft, hätten wir angesichts der verkraftbaren Zahl heute noch nicht mal eine Diskussion darüber. Man muss sich fragen, was Europa für ein schlechtes Bild abgibt, wenn es in der Flüchtlingsfrage nicht zu einer gemeinsamen und solidarischen Position kommt.

Das neue Bleibe- und Aufenthaltsrecht wird von Organisationen wie Pro Asyl kritisiert, weil nun wegen Fluchtgefahr vielen Flüchtlingen Haftstrafen drohen.

Özoguz: Ich kann die Kritik nur in Teilen nachvollziehen. Die Inhaftierung wird nur als letztes Mittel erlaubt, ein Richter muss zudem eine erhebliche Fluchtgefahr feststellen. Das Gesetz wird vielen Geduldeten endlich eine Perspektive geben. Es trägt dazu bei, dass Menschen, die teilweise seit bis zu 20 Jahren nur geduldet sind, Gewissheit für ihr Leben bekommen und nicht täglich mit der Furcht ins Bett gehen, dass sie morgen einen Brief für die Abschiebung erhalten. Außerdem sind junge Flüchtlinge, die einen Ausbildungsplatz haben, nun vor einer Abschiebung geschützt.

Was sollte sich in der Flüchtlingspolitik ändern?

Özoguz: Ich wäre schon glücklich, wenn wir eine dauerhafte strukturelle Lösung für die Finanzierung der Kosten der Flüchtlingsaufnahme hätten. Der Bund muss sich sicherlich stärker engagieren, aber dieses Engagement muss tatsächlich bei den betroffenen Asylbewerbern und Geduldeten zu Verbesserungen führen.

Darüber hinaus wünsche ich mir ein grundsätzliches, transparentes Einwanderungsgesetz. Ein Gesetz, in dem Einwanderung von Flüchtlingen, von Hochqualifizierten, Auszubildenden oder Familienzusammenführungen gebündelt geregelt und für alle nachvollziehbar ist.

Nach dem Vorbild der USA, Australien oder Kanada?

Özoguz: Richtig finde ich ein echtes Bekenntnis Deutschlands zur Einwanderung. Aber unsere Richtlinien sind mittlerweile in Teilen schon besser als die der anderen Länder.