Kairo/Tunis. Vor drei Monaten stürmten bewaffnete Islamisten ein Museum und töteten Zivilisten. Nun griffen Kämpfer Hotels des Landes an. Viele Menschen starben

Die Fotos zeigen Szenen des Horrors. Zwei Touristen in Badehose liegen neben ihren Sonnenschirmen erschossen im Sand, einer mit Kopfschuss in einer Blutlache, der andere unter einem Badehandtuch. Im Hintergrund entlang der Reihen aus Sonnenschirmen sind umgestürzte Liegen zu sehen, als andere Badegäste der beiden Strandhotels Imperial Marhaba und El Mouradi Palm Marina sich offenbar in Panik vor den heranstürmenden Attentätern in Sicherheit zu bringen versuchten. Der Angriff geht nach Angaben des tunesischen Innenministeriums auf das Konto von zwei Terroristen. Später war von einem Schützen die Rede, einem tunesischen Studenten, den Sicherheitskräfte töteten. Die Rolle des zweiten mutmaßlichen Täters, der nach offiziellen Angaben festgenommen wurde, blieb unklar.

Drei Monate nach dem verheerenden Anschlag im Bardo-Museum in der Hauptstadt Tunis, bei dem 21 Touristen starben, wird Tunesien erneut von einem schweren Anschlag auf Feriengäste erschüttert. Nach ersten Angaben des Innenministeriums starben bei dem Terroranschlag in der Nähe der Hafenstadt Sousse kurz nach Freitagmittag mindestens 37 Urlauber, 36 weitere wurden verletzt. Aus welchen Nationen die Opfer stammen, konnten die Behörden zunächst nicht sagen. Mehr als die Hälfte der Feriengäste in Tunesien kommt aus den Nachbarstaaten Algerien und Libyen. Die Nachfrage aus Frankreich, Spanien, Großbritannien und auch aus Deutschland hat sich nach dem Arabischen Frühling mehr als halbiert.

Den Sicherheitskräften auf dem Hotelgelände gelang es, einen der Angreifer zu erschießen. Ein Foto zeigt, wie der junge Mann in schwarzer Kleidung außerhalb der Hotelanlage tot auf dem Asphalt liegt, neben ihm seine Kalaschnikow. Lokale Medien meldeten, zwei Terroristen seien von der Strandseite aus auf das Hotelgelände vorgedrungen. Einer habe plötzlich aus einem zusammengefalteten Sonnenschirm ein Sturmgewehr hervorgeholt und auf Menschen geschossen, die am Strand gelegen hätten. Unklar war bis zum Abend, wie die Attentäter von außen auf das Strandgelände gelangen konnten. Einige der Urlauber gaben an, die Terroristen seien mit dem Boot von See gekommen. Andere berichteten, es habe zunächst eine Explosion gegeben, auf die dann das automatische Gewehrfeuer folgte.

Bisher bekannte sich niemand zu dem Attentat in Sousse. Tunesien jedoch ist in der arabischen Welt das Land mit dem größten Dschihadisten-Kontingent beim „Islamischen Staat“, gefolgt von Saudi-Arabien und Marokko. Mindestens 3000 junge Tunesier kämpfen nach offiziellen Angaben in Syrien und Irak, Hunderte auch im benachbarten Libyen. Weitere 9000 haben die Sicherheitsbehörden nach eigenen Angaben in den letzten Monaten an der Ausreise in die Kampfgebiete gehindert, alles Angaben, die wegen der porösen Grenze zum Bürgerkriegsnachbarn Libyen eine sehr hohe Dunkelziffer haben dürften.

Auch im Grenzgebiet zwischen ­Tunesien und Algerien operiert mit Okba Ibn Nafaa eine extrem gewalttätige Terrorgruppe, die zu 70 Prozent aus Algeriern und zu 30 Prozent aus Tunesiern besteht. Sie zählt sich zu al-Qaida, ist sehr gut organisiert und hat sich in den Chaambi-Bergen verschanzt. Ihre Kämpfer sind nach Ansicht der tunesischen Staatssicherheit verantwortlich für den Terrorüberfall auf das Bardo-Museum sowie für das Massaker an tunesischen Soldaten im Juli 2014 während des Ramadans, als 15 Wehrpflichtige erschossen und 20 verletzt wurden.

Umgekehrt wachsen angesichts der Attentate die Zweifel in der tunesischen Bevölkerung an der Kompetenz und dem Einsatzwillen ihrer Polizei. Schon bei dem Bardo-Attentat im März waren eklatante Sicherheitsmängel offenkundig geworden. So musste der Vizepräsident des Parlaments, dessen Plenarsaal direkt an das Museum angrenzt, kleinlaut einräumen, von den vier Museumswachen am Haupttor hätten zum Zeitpunkt des Anschlags zwei im Café gesessen, einer war am Kiosk gegenüber einkaufen und der vierte nicht zum Dienst erschienen. „Als die bewaffneten Terroristen die ausländischen Touristen niedermähten, war kein Beamter in der Nähe – ein absolutes Versagen“, empörte sich damals der Politiker.

Die neue Gewaltwelle im Nahen und Mittleren Osten könnte ausgelöst worden sein durch den jüngsten Aufruf von IS-Sprecher Abu Mohammed al-Adnani. Er hatte zu Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan alle Muslime aufgefordert, sich dem Dschihad anzuschließen und ihr Leben als Märtyrer zu opfern. Der tunesische Radiosender Mosaique FM meldete unter Berufung auf das Innenministerium, unter den Opfern seien Deutsche und Briten. Die deutsche Botschaft riet ­allen Staatsbürgern in einer per E-Mail versandten Mitteilung, die Umgebung des von tunesischen Sicherheitskräften abgeriegelten Tatorts zu meiden. Ob auch Menschen aus Hamburg oder Norddeutschland unter den Opfern waren, war bis zum späten Freitagabend unklar. Reiseunternehmen wie TUI prüfen noch, ob deutsche Urlauber unter den Opfern sind.

Salwa al-Kadri, eine Reiseführerin, die sich nach der Tat in dem Hotel aufhielt, sagte der Deutschen Presse-Agentur am Telefon, unter den Toten seien mehrere Deutsche. Die meisten Opfer stammten jedoch aus Großbritannien, fügte sie hinzu. Bestätigt ist dies von offiziellen Stellen nicht. Im Jahr 2014 reisten 425.648 Deutsche nach Tunesien – etwas weniger als im Jahr 2010 vor dem Arabischen Frühling. Im Revolutionsjahr 2011 waren die Gästezahlen auf 270.632 gefallen.

Tunesien brauche Unterstützung im Kampf gegen den Terrorismus, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). „Der heutige Anschlag kann uns darin nur bestärken“, fügte er hinzu. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nach den jüngsten Anschlägen in Frankreich (siehe Bericht rechts) und Tunesien ein entschlossenes Vorgehen gegen den internationalen Terrorismus angemahnt. „Die Meldungen machen uns allen noch einmal klar, vor welchen großen Herausforderungen wir stehen, wenn es um den Kampf gegen Terrorismus und islamistischen Terrorismus geht.“