Brüssel . Beim Endlos-Zank mit Athen haben die EU-Staats- und Regierungschefs auf ihrem Brüsseler Gipfel ein letztes Mal zur Schiebelösung gegriffen

Vor dem entscheidenden Treffen zur Rettung Griechenlands vor der Pleite bleiben Athen und seine Gläubiger auf Kollisionskurs. Bundeskanzlerin Angela Merkel rief die griechische Regierung auf, das „außergewöhnlich großzügige Angebot“ der Geldgeber anzunehmen. Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras warnte nach dem EU-Gipfel in Brüssel vor „Erpressungen und Ultimaten“.

Am Sonnabendnachmittag treffen die Finanzminister der Euro-Gruppe erneut zusammen, um doch noch eine Einigung zu erzielen. Athen ist unter Druck, da am Dienstag eine Rückzahlung an den Internationalen Währungsfonds (IWF) von rund 1,6 Milliarden Euro ansteht. Zudem läuft dann das aktuelle Rettungsprogramm für Griechenland aus. Für eine Verlängerung muss sich Athen mit den Geldgebern EU-Kommission, IWF und Europäische Zentralbank (EZB) auf ein Spar- und Reformpaket einigen. Dazu wird seit Wochen verhandelt. „Wir sind dem Tag nahe, an dem das Spiel aus ist“, sagte EU-Gipfelchef Donald Tusk. EU-Kommissionspräsident Jean­Claude Juncker appellierte an alle Parteien, doch noch einen Kompromiss möglich zu machen. Der gemeinsame Vorschlag der Geldgeber sei kein „Nimm-es-oder-lass-es-Angebot.“

Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijs­selbloem werde versuchen, die unterschiedlichen Positionen zusammenzubringen. Es gebe kein Ultimatum für Athen, betonte Juncker. Dijsselbloem betonte, am Wochenende müsse eine Entscheidung fallen. „Morgen muss es echt geschehen“, sagte der niederländische Finanzminister in Den Haag. Wenn dann kein gutes Reformpaket aus Athen auf dem Tisch liege, „ist es zu spät“. Er verwies darauf, dass ein Deal noch von einigen nationalen Parlamenten gebilligt werden müsse, darunter in Griechenland und Deutschland. Auf die Frage, ob eine Lösung noch möglich sei, sagte der Sozialdemokrat zögernd: „Ja, das geht noch.“

Für den Fall einer Einigung bieten die internationalen Geldgeber eine konkrete Perspektive. Sie schlagen eine Verlängerung des griechischen Rettungsprogramms um fünf Monate bis Ende November vor, wie Diplomaten am Rande des Gipfels berichteten. Insgesamt sollen Athen in diesem Zeitraum 15,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden; diese Gelder stammen aus dem bisherigen Programm. Ein Betrag von 1,8 Milliarden könne sehr schnell fließen, da es sich um Gewinne der EZB mit angekauften griechischen Staatspapieren handele.

Das Geldgeber-Angebot stößt nach Angaben von Diplomaten aber auch auf Widerstand im Kreise der Euro-Finanzminister, auch bei Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Dieser betonte, die Zeit laufe am Dienstag ab: „Der 30. Juni ist der 30. Juni und nicht der 1. Juli.“ Linke-Chef Bernd Riexinger warf der Bundesregierung vor, sie wolle mit ihrem Verhalten in der Griechenland-Krise die Regierung in Athen stürzen. „Bundeskanzlerin Merkel setzt mit ihrer alternativlosen Grausamkeit das Schicksal Europas aufs Spiel“, sagte er. Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) plädierte für einen Ausstieg Griechenlands aus dem Euro. „Ein Grexit wäre der ehrlichere Weg“, sagte er dem „Münchner Merkur“. Die „Tricksereien der griechischen Regierung nerven“.

Während in Brüssel über das Schicksal Griechenlands verhandelt wird, erwarten die Menschen in Griechenland unabhängig vom Ausgang der Gespräche kaum eine schnelle Besserung. Sie kämpfen sich von Tag zu Tag weiter. So wie Spiros Kolaitis. Er blickt resigniert auf die scheinbar endlosen Verhandlungen in Brüssel zur griechischen Schuldenkrise. „Was kommt, kommt“, sagt der in Hannover aufgewachsene Automechaniker, der seit 40 Jahren wieder in Athen lebt. Wie dem 63-Jährigen geht es mittlerweile vielen Menschen in Griechenland. In den vergangenen Jahren mussten sie Einkommenseinbußen von bis zu 40 Prozent verkraften. Viel schlimmer kann es aus Sicht vieler Arbeitnehmer und Arbeitsloser kaum noch werden.

Große Sorgen machen sich vor allem die Unternehmer. „Ein Euro-Austritt wäre der absolute Irrsinn“, warnt der Chef des griechischen Tourismusverbands, Andreas Andreadis. Löhne und Renten würden bei einer Rückkehr zur Drachme um weitere 30 bis 50 Prozent sinken, meint er.

Auch die bislang noch gut gehende Tourismusbranche dürfte wohl massiv unter einem Zusammenbruch der Währung leiden. Vor allem viele Last-minute-Touristen würden sich gegen Griechenland entscheiden, fürchtet Christos Pilatakis, Direktor eines Hotels auf Rhodos. „Die Saison wäre im Eimer.“ Der Tourismus macht in Griechenland fast 20 Prozent des Bruttoinlandproduktes aus. Fast jeder dritte Grieche ist direkt oder indirekt mit diesem Bereich verbunden.

Immer mehr Menschen verstecken ihr Geld unter der Matratze

Der Chef der griechischen Notenbank, Ioannis Stournaras, warnt ohne Unterlass vor einem Fehlschlag in den Verhandlungen. Die Krise würde in diesem Fall „unkontrollierbar“ werden. Die Griechen von heute hätten nicht das Recht, ihren Nachfahren dieses Problem zu überlassen.

In den vergangenen Monaten haben die Menschen rund 36 Milliarden Euro von ihren Konten abgehoben. Das wären rein rechnerisch mehr als 3000 Euro pro Grieche. Die Geldeinlagen bei den dortigen Banken haben mit 124 Milliarden Euro den niedrigsten Stand seit 2009 erreicht – damals lagen noch 233 Milliarden Euro bei den Banken. Das meiste Geld davon verstecken die Menschen aus Angst vor einem Kollaps der Geldinstitute daheim unter Matratzen oder in Truhen.