Berlin . Die Oppositionspartei nominiert Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht als Nachfolger von Gysi für die Fraktionsspitze

Vor ein paar Tagen hat Gregor Gysi in einem Interview gesagt: „Als seriös giltst du in Deutschland nur, wenn du kotzlangweilig bist.“ Er fügte hinzu: „Leider erleben wir jetzt zunehmend die Verbeamtung von Politik.“ Er hat dabei mehr über sich gesprochen, über seinen Stil, nicht konkret über andere Politiker. Wenn man aber am Montag zur Pressekonferenz ins Karl-Liebknecht-Haus geht, könnte man meinen, Gysi habe seinen Parteivorsitzenden gemeint. Der faltet die Hände auf dem Tisch zu einer Raute und beginnt mit den Worten: „Ich darf Sie unterrichten ...“

Was Linken-Chef Bernd Riexinger da langsam und umständlich verkündet, ist das, was alle erwartet haben: Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht sollen Gysis Nachfolger an der Spitze der Bundestagsfraktion der Linken werden. Das hat kurz zuvor der Parteivorstand ohne Gegenstimmen entschieden. Allerdings gab es zwei Enthaltungen. Gysi wird die Fraktion noch bis zum 13. Oktober führen. Und natürlich muss die Fraktion Bartsch und Wagenknecht erst noch wählen. Riexinger geht „davon aus, dass es für die beiden eine deutliche Mehrheit geben wird“.

Neben Rixinger sitzt seine Co-Vorsitzende Katja Kipping, rote Haare und rote Bluse vor rotem Partei-Hintergrund. Auch sie versprüht nicht mehr Aufbruchstimmung. Redet erst ein bisschen über den Euro und Griechenland, um dann zu Protokoll zu geben, dass Bartsch und Wagenknecht „unser gemeinsamer Vorschlag war“. Das muss man sich mal vorstellen: Da tritt ein Gregor Gysi nach 25 Jahren aus der ersten Reihe der Linkspartei ab. Ein Mann, der die Partei geprägt hat wie kein anderer. Der das Gesicht der Partei war. Der die Menschen unterhalten hat wie kein anderer Politiker. Jetzt ist klar, wer die Nachfolger werden. Und Riexinger und Kipping verkünden das, als ob sie die Lottozahlen von vorgestern vorlesen würden.

Bartsch und Wagenknecht. Der Reformer und die Radikale. Das ist ein Duo, wie es ungleicher nicht sein könnte. Beide agieren im Moment als erste Stellvertreter Gysis in der Fraktion. Bartsch wurde lange von Gysi gefördert. Der 57-Jährige strebt ein Bündnis mit SPD und Grünen an, möchte die Linke endlich regierungsfähig machen. Bartsch gilt als Stratege, war schon Schatzmeister und Bundesgeschäftsführer seiner Partei.

Wagenknecht ist viel bekannter als Bartsch. Die Deutschen kennen die 45-Jährige aus ihren provokanten Talkshow-Auftritten. Sie schreibt Bücher, zuletzt eines mit dem Titel „Freiheit statt Kapitalismus“. Als Vorsitzende der Parteigruppierung „Kommunistische Plattform“ verbreitete sie früher krude Thesen – was ihr die Aufmerksamkeit der Medien brachte. Kritiker nannten sie eine Stalinistin. Wagenknecht ist bei der Linken das größte politische Talent. Nach dem rhetorisch unübertreffbaren Gysi gilt sie als beste Rednerin ihrer Partei.

Ungleichheit kann ein Problem sein, muss es aber nicht. In diesem Fall kommt allerdings noch die gegenseitige Abneigung hinzu. „Die beiden harmonieren so gut wie Tom und Jerry“, schrieb vor Kurzem die „Süddeutsche Zeitung“. Bartsch und Wagenknecht werden wohl kaum als Gespann auftreten. Hinzu kommt das Problem Oskar Lafontaine, einst Parteichef der Linken. Zwischen Bartsch und Lafontaine gab es 2012 heftigen Streit. Da passt es nicht so gut, dass Lafontaine mittlerweile mit Wagenknecht verheiratet ist.

Wagenknecht, ohnehin eher der Typ Einzelkämpferin, wird vor allem populistisch auftreten, Talkshows besuchen, die SPD angreifen – beim Parteitag in Bielefeld vor gut einer Woche beschimpfte sie noch SPD-Chef Sigmar Gabriel, der „seit Monaten die Öffentlichkeit belügt und für dumm verkauft“. Am Tag, an dem Riexinger ihre Nominierung verkündet, veröffentlicht sie eine Mitteilung zum Griechenland-Poker mit dem Titel: „Führende Sozialdemokraten verzocken die Zukunft Europas“. Bartsch, der sich gut im Maschinenraum der Politik auskennt, wird sich um die vielen organisatorischen Dinge kümmern. Frage: Wer wird am Ende mehr Macht haben?

Gysi sagt, er ziehe sich zurück, um Platz für die Jüngeren zu machen. Rückkehr ausgeschlossen. Auch als Spitzenkandidat im Wahlkampf 2017. Es gab Spekulationen, dass er sich diese Hintertür offenhalten würde. Aber Gysi will auch abtreten, solange es noch mit Würde gelingt. Wenig wäre ihm, dem Harmoniebedürftigen, wohl unangenehmer, als wenn man ihn irgendwann verjagen würde.

Hinzu kommt seine Gesundheit. Der Mann ist 67 Jahre alt und hat drei Herzinfarkte und eine schwere Gehirnoperation hinter sich. Seine Vision war Rot-Rot-Grün im Bund. Die wird jetzt, vor allem mit Wagenknecht, noch ein bisschen unrealistischer, als sie ohnehin schon war. Vor allem in der Außenpolitik gilt die Linke als unzurechnungsfähig. SPD und Grüne würden wohl kaum ein Bündnis mit einer Partei schmieden, in der führende Mitglieder Verständnis für die Ukraine-Politik von Kremlchef Wladmir Putin äußern.

Es gibt das Gerücht, dass Gysi das Duo Bartsch/Wagenknecht wollte. Und dass Riexinger und Kipping es nicht wollten. Fragt man die beiden Vorsitzenden, reagiert Kipping schnippisch: Man könne ja bei der Fraktion anrufen und nach einem Statement von Gysi fragen. Riexinger beantwortet es bürokratischer: „Ich vermute, es wird keine Opposition von Gregor Gysi zu dieser Aufstellung geben.“