Beirut . Menschenrechtsgruppe warnt vor „schlimmster Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg“. Tausende Syrer fliehen in Richtung Türkei

Bewaffnete Konflikte in der arabischen Welt und Afrika haben nach Angaben von Amnesty International die „schlimmste Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg“ ausgelöst. In einem am Montag in der libanesischen Hauptstadt Beirut vorgestellten Bericht wirft die Menschenrechtsorganisation der internationalen Gemeinschaft schwere Versäumnisse bei der humanitären Hilfe vor. Generalsekretär Salil Shetty sagte: „Die Flüchtlingskrise ist eine der wichtigsten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, aber die internationale Gemeinschaft hat bislang kläglich versagt.“

Weil der Lage der Flüchtlinge nicht genügend Aufmerksamkeit gegeben werde, seien Millionen zu einem Leben in Elend und Tausende zum Tode verdammt. Dem Bericht zufolge sind derzeit rund eine Million Flüchtlinge dringend auf eine Aufnahme in sicheren Ländern angewiesen. Vier Millionen Syrer versuchten demnach unter schwierigsten Umständen großteils in Nachbarstaaten zu überleben. Die Welt dürfe Länder wie die Türkei oder den Libanon, die die größte Last trügen, nicht länger alleine lassen. So komme im Libanon auf jeden vierten Bewohner ein syrischer Flüchtling.

Nach tagelangem Ausharren an der Grenze sind derzeit mehrere Tausend Menschen vor den heftigen Gefechten in der nordsyrischen Stadt Tell Abjad in die Türkei geflohen. Die Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, nach Öffnung der Grenze am Sonntagabend hätten 2800 Flüchtlinge den Übergang zur türkischen Stadt Akcakale passiert.

Die türkischen Behörden hatten die Grenze am Sonntagabend und dann wieder am Montag geöffnet. Zuvor hätten IS-Kämpfer Zivilisten, die in brütender Hitze an der Grenze warteten, zurück nach Tell Abjad gezwungen. Anadolu berichtete, bei den Flüchtlingen handele es sich vor allem um Turkmenen und Araber. Kurdische Volksschutzeinheiten (YPG) rückten am Montag weiter auf die von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) beherrschte Stadt vor. Die Kurden hätten einen Vorort südöstlich von Tell Abjad erobert, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.

Laut Amnesty hat die Flüchtlingsbewegung aus Syrien und Afrika zur Folge, dass 2014 rund 3500 Menschen im Mittelmeer ertranken, 2015 sind es bereits 1865. Der dramatische Anstieg der Toten sei auch auf die Entscheidung von Italien und der EU zurückzuführen, das Seenotrettungsprogramm „Mare Nostrum“ Ende 2014 durch eine beschränktere Mission zu ersetzen. Auch angesichts der Lage in Südostasien, wo im Mai Tausende Menschen in überfüllten Booten auf dem Meer trieben, ohne dass ein Land sie aufnehmen wollte, schlägt Amnesty Alarm.

Während Amnesty anprangerte, rechtfertigte Frankreichs Innenminister Bernhard Cazeneuve die Abweisung von Migranten. „Wenn wir die Aufnahme von Flüchtlingen weiter gewährleisten wollen, müssen wir hart gegenüber den anderen sein“, sagte der Innenminister dem Sender BFMTV, einen Tag vor dem EU-Innenministertreffen zu Migration in Luxemburg. Polizisten hatten zuletzt an der französisch-italienischen Grenze in der Nähe von Nizza Migranten von der Einreise nach Frankreich abgehalten.