Berlin. Auch Experten des Parlaments zweifeln an Verfassungsmäßigkeit der Regierungspläne

Bundesregierung und Koalition stoßen mit ihren Plänen zur Vorratsdatenspeicherung auf unerwartete Schwierigkeiten. Der ehrgeizige Terminplan ist ja schon gekippt, Teile der SPD rebellieren zusammen mit der Opposition, jetzt bekommen die zahlreichen Kritiker auch noch Unterstützung von unverdächtiger Seite: Zwei Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags rügen, der Gesetzentwurf missachte in Teilen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs. Die Juristen beklagen etwa mangelnden Schutz von Berufsgeheimnisträgern wie Anwälten oder Ärzten, sie kritisieren die Missachtung von Vorgaben zur Information Betroffener und stören sich an unklaren Formulierungen im Gesetz.

Das Justizministerium wies die Vorwürfe zwar zurück: „Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes halten wir genauestens ein“, versicherte eine Sprecherin auf Anfrage. Die Expertisen wirken dennoch wie eine Steilvorlage für die Opposition: Denn an diesem Freitag wird Justizminister Heiko Maas (SPD) seinen Entwurf im Parlament einbringen, die Debatte dürfte nun turbulent werden.

Der gesamte E-Mail-Bereich wird vonder Datenspeicherung ausgenommen

„Die Regierung ist mit der Vorratsdatenspeicherung auf Geisterfahrt“, erklärte der Linken-Abgeordnete Jan Korte. Die Grünen warfen Maas vor, in Eile ein verfassungswidriges Gesetz vorgelegt zu haben. FDP-Vize Wolfgang Kubicki forderte die Regierung auf, ihre Pläne zurückzuziehen. In der Koalition ist man auf der Hut. „Wir werden alle Einwände, auch die des Wissenschaftlichen Dienstes, sorgfältig prüfen“, sagte der Vorsitzende des Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), dem Abendblatt. „Wir brauchen ein gründliches Gesetzgebungsverfahren, ein erneutes Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht können wir uns nicht leisten.“

Nach den Plänen der Regierung müssen künftig alle Telekommunikationsunternehmen zehn Wochen lang für jeden Anschluss die Verbindungsdaten zu Telefongesprächen und alle angewählten IP-Computeradressen speichern. Inhalte werden nicht erfasst, der gesamte E-Mail-Bereich wird von der Datenspeicherung ausgenommen. Sicherheitsbehörden dürfen die Daten von den Providern bei der Verfolgung schwerer Straftaten anfordern, wenn ein Richter zustimmt.

In der Koalition wurde gestern die Erwartung geäußert, dass der Bundestag das Gesetz nun zumindest an einigen Stellen korrigiert. Da erweist es sich als Glücksfall, dass der ehrgeizige Terminplan bereits geändert wurde. Ursprünglich sollte das Gesetz in großer Eile in nur drei Wochen parlamentarisch beraten und noch vor der Sommerpause Anfang Juli beschlossen werden. Jetzt ist die Verabschiedung frühestens für September oder Oktober geplant. Offizielle Begründung: eine Prüfung durch die EU-Kommission, die das Justizministerium in die Wege geleitet hat – sie soll sicherstellen, dass die Verpflichtung der Telekommunikationsunternehmen zur Datenspeicherung nicht zu europarechtlich unzulässigen Wettbewerbsnachteilen führt. Nach den EU-Regeln gilt während der Prüfung eine dreimonatige Stillhaltefrist, in der das Gesetz nicht beschlossen werden darf.

Der Hinweis, es könne Wettbewerbsprobleme geben, kam aus dem Wirtschaftsministerium. Es fügt sich gut, dass sich Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf diese Weise auch als SPD-Vorsitzender Luft in einem unerwartet heftigen Konflikt in seiner Partei verschafft: Vor allem die SPD-Linke macht mobil gegen die anlasslose Datenspeicherung, für einen kleinen Parteitag am 20. Juni liegen bereits 90 Anträge vor, die sich gegen den Entwurf aussprechen. Auch in der SPD-Fraktion stimmte diese Woche ein Fünftel der Abgeordneten gegen die Gesetzespläne. Die Kompromissidee der SPD-Spitze, das Gesetz zu befristen, ist am Nein der Union gescheitert.

Die meisten Daten speichern Google, Facebook und WhatsApp

Durch den späteren Bundestagsbeschluss ist nun etwas Druck aus dem Streit genommen. Die Allianz der Kritiker ist allerdings breit. So hat die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff (CDU) diese Woche in einem Schreiben an die zuständigen Bundestagsabgeordneten ihre „erheblichen Zweifel an der generellen Verfassungsmäßigkeit“ des Gesetzentwurfs bekräftigt. Maas reagierte gestern auf derartige Kritik mit einem Entlastungsmanöver: Die Kritiker seines Gesetzentwurfs sollten sich mit der umfangreichen Speicherung privater Daten durch Internetunternehmen auseinandersetzen, mahnte er. Die meisten Daten speicherten nicht Geheimdienste oder Ermittlungsbehörden, sondern Google, Facebook und WhatsApp.