Berlin. Bundeskanzlerin Merkel und die Geldgeber erhöhen den Druck auf Griechenland. Ende des Monats droht die Staatspleite

Die Zeit drängt. Mehr denn je drücken alle politisch Beteiligten verbal aufs Tempo, um eine Lösung im Schuldenstreit um Griechenland herbeizuführen. „Es zählt jetzt jeder Tag“, mahnt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Bei einem Treffen mit dem griechischen Regierungschef Alexis Tsipras und Frankreichs Präsidenten François Hollande waren sich alle einig, dass „Griechenland jetzt mit Nachdruck und Hochdruck“ an einer Einigung mit den Geldgebern arbeite. EU-Kommission, Europäische Zentralbank (EZB) und Internationaler Währungsfonds (IWF) verhandeln derzeit mit Athen über ein verbindliches Reformprogramm, als Voraussetzung, dass Griechenland weitere Hilfsgelder erhält, um nicht in die Staatspleite zu schlittern. Zur Griechenland-Krise beantwortet das Abendblatt wichtige Fragen:


Wie viel frisches Geld braucht
Griechenland?

Griechenland muss in diesem Jahr Kreditraten von insgesamt 26,7 Milliarden Euro zurückzahlen. Davon werden Ende Juni 6,8 Milliarden fällig. Um diese Summe zu begleichen, braucht das Land eine Hilfszahlung von 7,2 Milliarden Euro aus dem Rettungsfonds. Die Vergabe ist jedoch an Bedingungen der Geldgeber – die drei Institutionen EZB, IWF und EU-Kommission – geknüpft. Hier muss ein Kompromiss gefunden werden. Bislang erhielt Griechenland rund 200 Milliarden Euro aus dem Europäischen Rettungsschirm (ESM). Ohne frisches Geld droht Griechenland Ende Juni die Staatspleite.


Ist ein Austritt aus dem Euro rechtlich
möglich?

Rechtlich ist ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion nicht vorgesehen, es gibt im Maastrichter Vertrag keinerlei Regelungen dafür. Dennoch kann der „Grexit“ zum faktischen Ereignis werden. Sobald Griechenland seine Zahlungsverpflichtungen nicht mehr erfüllt und der Zahlungsverkehr zusammenbricht, ist Griechenland ökonomisch gesehen nicht mehr Teil des Währungsgebietes.


Welche Folgen hätte ein „Grexit“ für die
Euro-Zone?

Ein Austritt aus der Euro-Zone wäre ein Signal an die Finanzmärkte, dass es prinzipiell möglich ist, dass Länder aus der Währungsunion ausscheiden. Dies führt zu Unsicherheiten, die von Finanzmärkten mittelfristig einkalkuliert und ausgenutzt werden könnten, um Gewinne zu erzielen. Ein Dominoeffekt ist nicht auszuschließen. So könnte auf den Ausstieg weiterer kriselnder Länder – wie Spanien oder Portugal – spekuliert werden.


Wäre ein „Grexit“ für Griechenland eine
Chance für einen Neuanfang?

Im Gegenteil: Für Griechenland wäre ein Ausscheiden eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Katastrophe, meint der IMK-Direktor der Böckler-Stiftung, Gustav Horn. Griechenland könnte seine Schulden nicht mehr bedienen und wäre massiv überschuldet. Es würde kein frisches Kapital mehr an den Märkten erhalten, um seine Wirtschaft anzukurbeln. Arbeitslosigkeit und Verarmung der Bevölkerung würden ansteigen, meint der Ökonom.


Welche Auswirkungen drohen
Deutschland?

Ein Austritt käme Deutschland teuer zu stehen und würde den Steuerzahler erstmals direkt treffen. Alle Bürgschaften, die Deutschland Griechenland gewährt hat, würden fällig gestellt. Dazu zählen alle Einlagen in den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), für die Deutschland haftet – laut Böckler-Stiftung etwa 70 Milliarden Euro. Indirekt geht auch Geld über die EZB verloren. Voraussichtlich würde die EZB über Jahre keine Gewinne mehr an Deutschland abführen.


Hat die Sparpolitik bisher genutzt?

Das Sparen hat Griechenland bislang nicht zu neuem wirtschaftlichen Aufschwung verholfen. Im Gegenteil: Griechenland hat nach einer IMK-Studie der Böckler-Stiftung seit 2008 rund 25 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes verloren, die Löhne in der Privatwirtschaft sanken um 19 Prozent. Das Jahreseinkommen der Haushalte vor Steuern ging im Schnitt von 23.100 Euro auf 17.900 Euro zurück. Jeder dritte Haushalt verfügt sogar nur über ein Jahreseinkommen unter 7000 Euro. Die Arbeitslosigkeit stieg in der Zeit von 7,3 auf 26,6 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit sogar auf 44 Prozent. Allerdings ist es Griechenland gelungen, sein Haushaltsdefizit zu senken.

Wie könnte ein Kompromiss
in dem Schuldenstreit aussehen?
Strittig sind weitere Reformen auf dem Arbeitsmarkt, in der Renten- und Steuerpolitik. Konfliktpunkt ist zudem die Höhe des angestrebten Primärüberschusses – also das Haushaltsplus minus Zinszahlungen. Griechenland soll künftig weniger ausgeben als einnehmen. Die Griechen bieten 0,5 bis 0,75 Prozent des BIP. Gefordert werden von der Troika aber 1,0 Prozent.


Sind Steuererhöhungen sinnvoll?

Die Geldgeber fordern eine höhere Mehrwertsteuer in zwei Stufen, Griechenland möchte drei Sätze (sieben, 13 und 23 Prozent). Steuererhöhungen haben immer zwei Seiten: Theoretisch können sie die Staatseinnahmen erhöhen. Da höhere Steuern jedoch die Produkte verteuern, können Anhebungen auch zu Absatzrückgängen führen. So würden höhere Steuern auf den griechischen Inseln den dortigen Urlaub deutlich verteuern, was zu einem Rückgang der Touristen führen dürfte.


Sollten die Renten gekürzt
werden?
Die griechischen Renten wurden bereits gekürzt, die Untergrenze beträgt nun 300 Euro monatlich. Die von der Troika geforderte weitere Kürzung um 120 Euro würde zu sozialer Not führen und wird von der griechischen Regierung kategorisch abgelehnt. Zudem hat das Oberste Verwaltungsgericht die bereits erfolgten Rentenkürzungen für verfassungswidrig erklärt und den Staat zur Rücknahme verpflichtet.


Welche Reformen braucht Griechenland?

Griechenland braucht eine grundlegende Verwaltungsreform, sagt IMK-Chef Gustav Horn. Diese umfasst ein effektives Steuersystem. Heute würden die Reichen in der Praxis oft bevorzugt. Zudem sollte das Rentensystem grundlegend reformiert werden, allerdings als langsamer, mittelfristiger Prozess. Andernfalls werde das Vertrauen der Bevölkerung massiv gestört. „Oberstes Ziel muss es sein, Griechenland wieder auf die Beine zu helfen. Das wäre die sicherste Methode, um auch wieder an unser Geld zu kommen.“