Berlin. G36-Affäre: Verteidigungsministerin von der Leyen und ihr Vorgänger de Maizière sagen vor Verteidigungsausschuss aus

Thomas de Maizière (CDU) hat alle gefragt. Die eigenen Materialprüfer in der Truppe und – als Restzweifel blieben – ein Institut der Fraunhofer-Gesellschaft, die einfachen Soldaten im Einsatz, aber auch ihre Kommandoführer. Er ging bis zum Generalinspekteur und hörte doch überall die gleiche Antwort: Mit der geeigneten Munition sei das G36 ein „gutes Gewehr“ und voll einsätzfähig. De Maizière: „Das war mein Lagebild.“

So klingt eine handelsübliche Rechtfertigung in Berlin. Zum Politikum wird sie erst in der Gesamtschau: Seine Amtsnachfolgerin, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), gibt dem Gewehr in der jetzigen Bauart „keine Zukunft“. Es muss verändert, gar ausgemustert werden. Ihr hätten „neue Fakten“ zur Verfügung gestanden, sagte sie nach einem gemeinsamen Auftritt gestern vor dem Verteidigungsausschuss. Neue Fakten? Ist das der Deal? Sie schützt ihn, und er verkneift sich wiederum jeden Kommentar zur Frage, ob sie überstürzt, überzogen reagiert hat?

Es ist wie ein Paarlauf – einstudiert, synchron. Sie kommen zusammen, in gemessenem Schritt, und lächelnd betreten sie Saal 2700 im Paul-Löbe-Haus, sitzen nebeneinander vor den Abgeordneten, Seit an Seit gehen sie allen Fragen aus dem Weg. Zwischen ihnen passt kein Blatt Papier.

Von der Leyen bezweifelt nicht, dass G36 auch „seine Stärken“ habe, aber es hätten sich im Laufe der Zeit Präzisionsprobleme gezeigt, etwa bei Hitze. Das ist hinlänglich bekannt, Zweifel gab es seit Langem. De Maizière erfuhr davon Anfang 2012 vom Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus. „Er war informiert, mit allen Details“, sagt der Linken-Politiker Jan van Aken über den Minister. Sein Fazit: „Ein Totalausfall“.

Es gab in der Truppe – auch im Ministerium – zwei Fraktionen. Die einen haben das Gewehr verteidigt und sitzen zum Teil nach wie vor in ihren Positionen, wie die Grünen beklagen. Die anderen hatten Zweifel, wollten aufklären, aber wurden „gedeckelt“, wie der SPD-Wehrexperte Rainer Arnold behauptet hat. De Maizière, inzwischen Innenminister, hat keinen leichten Stand unter den Wehrexperten.

Im Moment jagt ein unangenehmer Auftritt den anderen. Gestern stand der CDU-Politiker auch noch im Edathy-Untersuchungsausschuss Rede und Antwort. Demnächst wird er als Zeuge zum Thema NSA-Affäre geladen – die nächsten Aufklärer warten. Drei Auftritte, einen für jeden Job in der Regierung Merkel: Als Kanzleramtschef (NSA), als Minister für Verteidigung (G36) und für Inneres (Edathy). De Maizière kann dabei wenig gewinnen, aber viel verlieren.

Die kritischste Befragung betrifft das G36; die Affäre nimmt kein Ende. Die Verwirrung ist groß, weil für zentrale Gutachten schriftliche Aufträge fehlen oder weil oft Unterschiedliches untersucht wurde, mal die Munition, mal der Lauf des Gewehres. Im Nachhinein sei es mitunter schwer, Ergebnisse miteinander zu vergleichen, erzählt Ausschuss-Vorsitzender Wolfgang Hellmich (SPD). Über Nacht haben die Abgeordneten gerade weitere Unterlagen vom Ministerium erhalten. „Ein Kilo Papier“, schätzt Hellmich. Beim Lesen komme man ja „kaum hinterher“, stöhnt der Linke van Aken.

Da ist etwa ein Brief, den der heutige Unions-Fraktionschef Volker Kauder bereits Anfang der 90er Jahre an das Verteidigungsministerium schrieb. Bei der Auftragsvergabe empfahl Kauder den Hersteller Heckler & Koch. Was kein Wunder ist. Die Waffenschmiede ist ein etablierter Hersteller und in Kauders Wahlkreis zu Hause. Zum Brief gibt es einen Vermerk, aber das Originalpapier ist unauffindbar. Kauder selbst kann sich nicht mehr daran erinnern. „Ich will den Brief sehen“, sagt van Aken. Wenn er das Schriftstück nicht erhalte – „das weiß von der Leyen auch“ – , gebe es einen Untersuchungsausschuss. „Sofort.“

Die Linke hat eine starke Position. Sie hat sich nicht der Forderung der Grünen angeschlossen, weshalb das erforderliche Quorum für einen Untersuchungsausschuss nicht zustande kam. Aber die Linke droht, ihre Meinung zu ändern und doch den Antrag zu stellen, den Verteidigungsausschuss in einen Untersuchungsausschuss umzuwandeln. Damit macht die Linke klar, dass sie die größere Oppositionsfraktion ist und im Parlament nachlegen kann. Für de Maizière ist es keine erfreuliche Perspektive. Er könnte dann als Zeuge geladen werden – und diesmal nach strengeren Kriterien.

Hat der MAD doch im Interessevon Heckler & Koch eingegriffen?

Auch Ursula von der Leyen muss eine Aufklärung, die in die Länge gezogen wird, fürchten. Da sind zum Beispiel die Vorwürfe gegen den Militärischen Abschirmdienst (MAD). Er soll nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ eingesetzt worden sein, um die Weitergabe von Informationen an Journalisten zu untersuchen – auf Betreiben von Heckler & Koch. Aus dem bisher bekannten Briefwechsel zwischen MAD-Präsident Ulrich Birkenheier, Heckler & Koch und dem Ministerium ging das bisher nicht hervor. Im Gegenteil: Birkenheier wies das Ansinnen mehrmals zurück. Die Frage ist allerdings, was inoffiziell bei einem Treffen zwischen MAD und Unternehmen verabredet wurde. Was ist Fakt und was nur Legende? Die Grünen-Wehrexpertin Agnieszka Brugger meint, nur ein Untersuchungsausschuss könne „die Wahrheit ans Tageslicht befördern“.