Berlin . Ägyptens Präsident al-Sisi besucht Berlin, die Pressekonferenz mit der Kanzlerin endet im Tumult. Der Staatschef ist umstritten – doch Merkel zählt auf ihn

Draußen vor dem Kanzleramt rufen ägyptische Demonstranten „Nieder mit dem Diktator“, drinnen kommt es zum Eklat. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi wollen ihre Pressekonferenz gerade beenden, da ruft eine junge Frau dem arabischen Staatsoberhaupt zu: „Du bist ein Mörder, du bist ein Nazi, du bist ein Faschist.“ Prompt erhebt sich im Pressesaal die große ägyptische Journalisten-Delegation, drängt auf die Frau zu und ruft: „Es lebe Ägypten, es lebe Ägypten.“

Im Tumult werden Merkel und ihr Gast von Sicherheitskräften aus dem Saal gebracht. Das ägyptische Pressekorps ist kaum zu beruhigen – lautstark hatten die als Journalisten angemeldeten Ägypter ihrem Präsidenten applaudiert und Fragen mit Dankesworten an al-Sisi eingeleitet, was bei Pressekonferenzen in Berlin höchst ungewöhnlich ist. Jetzt ist die Empörung groß. Sie sei eine Studentin aus Mainz, sagt die Frau, als sie von deutschen Kriminalbeamten hinausgeleitet worden ist. Doch auch al-Sisis Sicherheitsleute interessieren sich für sie. Die Frau, die sich als Radiojournalistin akkreditiert hatte, bittet die deutschen Polizisten um Schutz – vor dem Kanzleramt demonstrieren nicht nur Gegner von al-Sisi, von der Polizei sorgsam getrennt haben sich auch Hunderte Anhänger des Präsidenten versammelt.

Die ungewöhnlichen Szenen in und um die Regierungszentrale werfen ein Schlaglicht auf die angespannte Stimmung beim Besuch des umstrittenen Gastes in Berlin. Und sie torpedieren den Versuch von Kanzlerin Merkel, mit al-Sisi ein Stück heile Welt zu inszenieren. Denn als beide verspätet zur Pressekonferenz erscheinen, soll alles nett und locker wirken: Man habe ein kleines Problem mit dem Fahrstuhl gehabt, der „immer rauf und runter gefahren“ sei, sagt Merkel fröhlich, dann begrüßt sie ihren Gast „ganz herzlich“ und berichtet von einem „partnerschaftlichen Gespräch“. Merkel liefert die Begründung für den freundlichen Empfang auch gleich mit: Ägypten habe „hohe strategische Bedeutung“, es sei eines der zentralen Länder in der Nahost-Region, die sonst durch hohe Instabilität gekennzeichnet sei, sagt Merkel. Deshalb wolle Deutschland helfen, die Stabilisierung Ägyptens durch wirtschaftliche Entwicklung voranzubringen.

40.000 Menschen wurden aus politischen Motiven inhaftiert

Strategische Bedeutung vor allem im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus und wirtschaftliche Beziehungen – das sind die Schlüsselbegriffe, mit denen die Bundesregierung das Verhältnis zu al-Sisis Regime umschreibt und begründet, warum die Menschenrechtsverletzungen in Ägypten zwar angesprochen, aber in den Hintergrund geschoben werden. Dabei ist der Empfang des Staatsoberhauptes durch Bundesregierung und Bundespräsident nicht nur von der Opposition heftig kritisiert worden. Der frühere General hatte im August 2013 die Macht übernommen, nachdem sein gewählter Vorgänger Mohammed Mursi vom Militär gestürzt worden war; vorausgegangen waren Massenproteste gegen Mursi. Seitdem regiert al-Sisi mit harter Hand und ohne Parlament.

40.000 Menschen wurden aus politischen Gründen inhaftiert, Hunderte Todesurteile verhängt – vor allem gegen Mitglieder der Muslimbrüderschaft, die nun als terroristische Organisation gilt. Amnesty International und vier andere Organisationen beklagen massive Verletzungen der Menschenrechte: Seit 2013 seien 124 Häftlinge nach Folter oder verweigerter medizinischer Behandlung gestorben.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte ein Treffen mit al-Sisi unter Hinweis auf die Verfolgung von Oppositionellen abgesagt. Der Gast zeigt sich trotz aller Vorwürfe selbstbewusst: „Wir lieben die Demokratie und die Freiheit, aber wir leben in sehr schwierigen Zeiten.“ Millionen Ägypter hätten den religiösen Faschismus erfolgreich bekämpft, nun beschütze die Armee die Bürger.

Al-Sisi weist auch die Kritik an den Todesstrafen, die unter anderem gegen seinen Vorgänger Mursi verhängt wurden, zurück: Die Todesurteile könnten in höheren Instanzen wieder aufgehoben werden. Und der Präsident wiederholt, was er auch der Kanzlerin gesagt habe: Er verstehe zwar die Problematik eines Todesurteils aus deutscher oder europäischer Sicht. Aber: „Wir respektieren Ihre Perspektive, respektieren Sie bitte unsere.“ Merkel hatte die hohe Zahl der Todesstrafen kritisiert.

Der Gast erweist sich im Gespräch indes als zäh: Selbst das Problem der politischen Stiftungen bleibt ungelöst. Zwei deutsche Mitarbeiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung sind 2013 in Abwesenheit zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Merkel sagt nur: „Wir arbeiten weiter an einer Lösung.“ Das unterscheidet sich deutlich auch von Erklärungen des Auswärtigen Amtes, in denen Ägypten aufgefordert wurde, „zu einer wirklichen Demokratie zurückzukehren“.

Nun bekräftigt Merkel die gemeinsamen Interessen im Kampf gegen den Terrorismus. Auch bei den Nahost-Friedensgesprächen sei Ägypten wichtig. Und dann sind da noch die Wirtschaftskontakte: „Wir werden alles daran setzen, dass die Wirtschaft florieren kann“, sagt Merkel. Al-Sisi ist mit einer Unternehmerdelegation gekommen. Heute trifft er Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Firmenchefs. Dabei werden mehrere Abkommen unterzeichnet. So baut Siemens in Ägypten für acht Milliarden Euro neue Gas- und Windkraftwerke.