Gaza. Außenminister Steinmeier nennt Lage im Gazastreifen katastrophal. Ohne Besserung drohe neuer Krieg

Knapp ein Jahr ist der letzte Gaza-Krieg im Sommer 2014 her, doch der Wiederaufbau im Palästinensergebiet kommt kaum voran. Als Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Montag bei einem Besuch im abgeriegelten Gazastreifen die Kriegsschäden besichtigte, zeigte er sich tief betroffen: „Ich bin entsetzt und erschrocken über das Maß der Zerstörung.“ Bei einem früheren Aufenthalt in Gaza sei die Lage schlecht gewesen, jetzt sei sie „katastrophal und unerträglich“. Entsprechend klar fiel Steinmeiers Warnung aus: Wenn sich die Lebensbedingungen der 1,8 Millionen Menschen nicht rasch mit Wiederaufbauhilfen und einem Ende der Blockade besserten, drohe ein neuer Krieg: „Wir sitzen auf einem Pulverfass. Wir müssen aufpassen, dass es sich nicht selbst entzündet.“

Bei einer Rundfahrt durch das Gebiet von Gaza-Stadt im gepanzerten Geländewagen hatte der Minister erfahren, wie groß die Schäden sind: Zahlreiche Fabrikgebäude und Wohnhäuser liegen nach den Bombenangriffen im Juli und August 2014 in Trümmern. Mehr als 2200 Palästinenser waren ums Leben gekommen, mehr als 100.000 hatten bei den Bombardements, mit denen Israel auf Raketenangriffe aus Gaza reagierte, ihr Zuhause verloren. Zwar hat die internationale Gemeinschaft fast fünf Milliarden Euro versprochen, ausgezahlt wurde bisher aber kaum etwas – denn an Wiederaufbau ist in dem Küstenstreifen am Mittelmeer nicht zu denken, solange Israel die Einfuhren von Baumaterial stark beschränkt aus Furcht, dass die Hamas damit neue Tunnelanlagen baue.

Steinmeier appellierte an Israel und die palästinensische Autonomiebehörde, für bessere Lebensbedingungen zu sorgen. Damit könne man nicht warten, bis die Gespräche über eine Zwei-Staaten-Lösung in Gang kämen. Konkret forderte er die schrittweise Grenzöffnung durch Israel, damit Wirtschaft und Wiederaufbau in Gang kommen. Als Gegenleistung müsse es Sicherheitsgarantien für Israel geben: Gaza dürfe nicht mehr „die Startrampe für Raketen auf Israel“ sein. Bleibe es bei der gegenwärtigen Lage, bestehe die große Gefahr, „dass aus den Trümmern ein neuer Krieg entsteht“ – weil die Not Nährboden für Extremismus sei.

Steinmeier besuchte in Gaza unter anderem eine Mädchenschule der Vereinten Nationen. Die Schule, in der ab dem Sommer 1400 Kinder unterrichtet werden sollen, sei eine von 20 Schulen, die mit deutscher Unterstützung gebaut werde. Auf Dauer, sagte der Minister, reiche humanitäre Hilfe nicht aus: Die Menschen wollten eine Perspektive. Der Direktor des Uno-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge, Robert Turner, berichtete, fast die Hälfte der Menschen sei arbeitslos, der Anteil sei so hoch wie sonst nirgends auf der Welt. Er warnte: „Die Bevölkerung ist frus­triert wegen der Zerstörung, wegen der fehlenden politischen Fortschritte – und wegen der fehlenden Bewegungsmöglichkeiten.“

Steinmeiers Besuch in Gaza ist der Versuch, trotz des festgefahrenen Friedensprozesses im Nahost-Konflikt wenigstens in Teilbereichen Fortschritte zu befördern. Gaza gilt als das aktuell gefährlichste Problem. Es geht um konkrete Hilfe, solange eine große politische Lösung im Nahost-Konflikt nicht in Sicht ist. Bis die erreicht werde, sagte der Außenminister, „wird es noch länger dauern.“